Humorkritik | August 2007

August 2007

Denken Sie mal negativ

Schätzungsweise ein Drittel aller Regalmeter im deutschen Buchhandel dürfte mittlerweile mit Lebenshilfe-Ratgebern und Motivationsfibeln vollgestellt sein. Ihre immergleiche Botschaft: positiv denken, an sich selber arbeiten, die Hoffnung nicht verlieren usw. – was die niedergeschlagenen Damen und Herren Mitbürger heutzutage offenbar so brauchen, um sich nicht reihenweise selbst zu entleiben.

 

Ein wenig neugierig nahm ich daher eine Publikation des hawaiianischen Psychologen Paul Pearsall aus dem letzten Jahr zur Hand. Sie heißt »Denken Sie negativ, unterdrücken Sie Ihren Ärger und geben Sie anderen die Schuld. Warum Sie auf Lebenshilfe-Ratgeber verzichten können«. Zwar hält das Buch nicht ganz, was der Titel verspricht – sonst wäre es vermutlich auch nicht im auf psychologische Erbauungsliteratur spezialisierten mvg-Verlag erschienen. Ein frühes Kapitel allerdings wartet mit einigen Ratschlägen auf, die die üblichen Phrasen der Gattung auf den Kopf stellen und wohl nicht nur wissenschaftlich belegt, sondern auch einigermaßen gewinnbringend zu lesen sind.

 

»Seien Sie Pessimist«, empfiehlt Pearsall dort zum Beispiel. Es sei nicht nur entschieden gesünder, da sich »die langlebigsten Menschen auf der Welt besonders durch ihre pessimistische Sicht des Lebens auswiesen«, sondern auch seelisch von Vorteil: »Man wird seltener enttäuscht und manchmal angenehm überrascht.« Dem ewigen Mantra, man müsse mehr über Gefühle reden, hält er entgegen: »Seien Sie ruhig und hören Sie zu.« Es sei empirisch erwiesen, »daß Paarbeziehungen normalerweise an zu viel Kommunikation scheitern, nicht an zu wenig. Paare, die viel Zeit mit gemeinsamem Ruhigsein verbringen, bleiben zusammen«. Bedenkenswert auch seine unsentimentale Warnung vor dem romantischen Verliebtsein: »Wenn Sie glauben, Liebe zu sehen, wenn Sie Ihrem Partner in die Augen blicken, dann irren Sie sich. Sie sehen Augäpfel.«

 

Ebenfalls nur wenig hält Pearsall von traditioneller Psychotherapie (»Finden Sie sich damit ab, Ihre Familie ist bekloppt«) wie von Diätratgebern (»Lesen Sie keine Schlankheitsbücher. Essen Sie sie. Sie enthalten eindeutig mehr Ballaststoffe als nützliche Informationen«). Und auch der Hoffnung auf eine durch Moral und Motivationstricks zu steuernde irdische Gerechtigkeit erteilt er eine Absage: »Erwarten Sie nicht, daß Sie bekommen, was Ihnen zusteht. Totale Idioten und üble Typen haben oft ein Riesenglück.«

 

In den weiteren Kapiteln entpuppt sich der Band dann allerdings doch nur als ein weiterer Lebenshilfe-Ratgeber, zwar mit einem humaneren Ansatz, psychologisch gewiß fundierter als die meisten seines Genres und übrigens nicht nur in dieser Hinsicht Paul Watzlawicks Klassiker »Anleitung zum Unglücklichsein« verwandt –, aber nichtsdestoweniger: als ein weiterer Lebenshilfe-Ratgeber, der lediglich jene Illusionen nährt, die der Autor zuvor mit den hübschen Worten zertrümmert hatte: »Hören Sie auf, Ihr ›volles Potential‹ ausleben zu wollen. Sie haben wahrscheinlich nicht viel mehr Potential als das, was Sie gerade jetzt zeigen.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Kurze Anmerkung, Benedikt Becker (»Stern«)!

»Wer trägt heute noch gerne Krawatte?« fragten Sie rhetorisch und machten den Rollkragenpullover als neues It-Piece der Liberalen aus, v. a. von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner, »Was daran liegen mag, dass der Hals auf die Ampelkoalition besonders dick ist. Da hilft so eine Halsbedeckung natürlich, den ganzen Frust zu verbergen.«

Schon. Aber wäre es angesichts des Ärgers der beiden Freien Demokraten über SPD und Grüne nicht passender, wenn sie mal wieder so eine Krawatte hätten?

Ebenso stilistisch versiert wie stets aus der Mode: Titanic

 Chillax, Friedrich Merz!

Sie sind Gegner der Cannabislegalisierung, insbesondere sorgen Sie sich um den Kinder- und Jugendschutz. Dennoch gaben Sie zu Protokoll, Sie hätten »einmal während der Schulzeit mal einen Zug dran getan«.

Das sollte Ihnen zu denken geben. Nicht wegen etwaiger Spätfolgen, sondern: Wenn ein Erzkonservativer aus dem Sauerland, der fürs Kiffen die Formulierung »einen Zug dran tun« wählt, schon in der Schulzeit – und trotz sehr wahrscheinlichem Mangel an coolen Freund/innen – an Gras kam, muss dann nicht so ziemlich jedes andere System besseren Jugendschutz garantieren?

Sinniert

Ihre Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
14.05.2024 Frankfurt, Goethe-Universität Martin Sonneborn
15.05.2024 München, Volkstheater Moritz Hürtgen mit S. El Ouassil und M. Robitzky
16.05.2024 Regensburg, Alte Mälzerei Max Goldt
17.05.2024 A-Linz, Posthof Max Goldt