Inhalt der Printausgabe

März 2006


Humorkritik
(Seite 6 von 9)

Spießer Schaarschmidt
Wie ist es nun aber um die im komischen Sinn ernstzunehmenden ostdeutschen Kolumnisten bestellt? Gut bis einigermaßen schlecht, würde ich sagen: Neben dem hochbegabten Kolumnisten Stefan Schwarz (Jg. 1965), der im außerordentlich spießigen Ostberliner Magazin zu lesen ist, gibt es nur noch Uwe Schaarschmidt von Spiesser. Die Jugendzeitschrift, die in Dresden verantwortet wird. Wie wir wissen, wäre es ein erster Schritt zur Rache des Subjekts an den Verhältnissen, sie gründlich auszulachen. Im kostenlos verbreiteten Spiesser (Auflage 300000!) lachen aber die Verhältnisse.
Darin lernt der beitrittsgebietlerische Nachwuchs, sich im Klingeltondschungel zurechtzufinden, darf Sozialdarwinismus in schicke neue Rechtschreibung übersetzen und begreifen, wie Opportunismus als Hipness verkauft wird. Freilich ist »unsere Rasselbande« (Eigenwerbung) gegen doofen Rassismus und schlimme Ausländerfeindlichkeit, die NPD ist schnell als brauner Dreck beschimpft, und Frieden ist das Schönste auf der Welt. Daher gutmenscheln und toleranteln die Nachwuchsredakteure wie Peter Hahne auf Speed bzw. »auf professionellem Niveau« (Eigenwerbung). Nun hält sich jedes Anzeigenblatt einen vorlauten Hampelmann, der auch mal gegen die Blattlinie oder Anzeigenkunden bürsten darf, was überland gern als Satire verstanden wird. Bei Spiessers machte diesen Job bis vor kurzem der bereits etwas betagte Uwe Schaarschmidt (Jg. 1964), dessen Kolumnen unter dem Titel »Die restlichen Syrer sind Christen« beim Planlos-Verlag Dresden erschienen sind. Das humoristische Vorstrafenregister dieses Mannes liegt mir leider nicht vor, wenn aber seine Lexik schon ansatzweise in Richtung Stil linst, richtige Konjunktive vorkommen und auch der Satzbau weitestgehend stimmt, zeigt das zuallererst, daß sich Deutsch da drüben als erste Fremdsprache endgültig durchgesetzt hat. Aber auch nicht ein Gran mehr.
Wie es sich für Zeitschriftenguerilleros aus dem Tal der Ahnungslosen gehört, ist Schaarschmidts Themenwahl neben unheimlich Kritischem und vorgetäuscht Bösem mehrheitlich von dem durchzogen, was eben wirklich »durch« ist. Und wenn ich »durch« sage, dann heißt das durch plus zehn (Jahre): Baumarkt, die Zahlencodes im Supermarkt, Mallorcaurlaub, Ikea-Namen, die DDR-Opposition etc. Schon die Überschriften »Tell me Aviv!«, »In Spülkasten veritas!« oder »Böse muß tot!« lassen mich eher ins Wachkoma fallen als in ein angemessenes Lachkoma – um mal in Schaarschmidts Diktion zu bleiben. Anspruch und Anliegen des Rests illustriert am anschaulichsten seine Danksagung: »Dank auch allen meinen Freunden, von denen mir die liebsten jene sind, mit denen ich gebrochen habe. Und zwar gemeinsam.« Bewerbungsschreiben für richtige Blätter sehen anders aus. Also: üben, Schaarschmidt! Andernfalls sehen wir Dich auf dem Feuerwehrfest in Chemnitz-Siegmar wieder. Als Gagschreiber fürs Herrenballett.



    1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9   


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Moment, Edin Hasanović!

Sie spielen demnächst einen in Frankfurt tätigen »Tatort«-Kommissar, der mit sogenannten Cold Cases befasst ist, und freuen sich auf die Rolle: »Polizeiliche Ermittlungen in alten, bisher ungeklärten Kriminalfällen, die eine Relevanz für das Jetzt und Heute haben, wieder aufzunehmen, finde ich faszinierend«, sagten Sie laut Pressemeldung des HR. Ihnen ist schon klar, »Kommissar« Hasanović, dass Sie keinerlei Ermittlungen aufzunehmen, sondern bloß Drehbuchsätze aufzusagen haben, und dass das einzige reale Verbrechen in diesem Zusammenhang Ihre »Schauspielerei« sein wird?

An Open-and-shut-case, urteilt Titanic

 Hello, Herzogin Kate!

Hello, Herzogin Kate!

Ihr erster öffentlicher Auftritt seit Bekanntmachung Ihrer Krebserkrankung wurde von der Yellow Press mit geistreichen Überschriften wie »It’s just Kate to see you again« oder »Kate to have you back« bedacht.

Und bei solchen Wortspielen darf unsereins natürlich nicht fehlen! Was halten Sie von »Das Kate uns am Arsch vorbei«, »Danach Kate kein Hahn« oder »Das interessiert uns einen feuchten Katericht«?

Wie immer genervt vom royalen Kateöse: Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

 Grüß Gott, Markus Söder!

Weil der bayerische AfD-Chef Sie wiederholt »Södolf« genannt hat und Sie ihn daraufhin anzeigten, muss dieser Ihnen nun 12 000 Euro wegen Beleidigung zahlen. Genau genommen muss er den Betrag an den Freistaat Bayern überweisen, was aber wiederum Ihnen zugutekommt. Ebenjener zahlt Ihnen ja die Honorare für freie Fotograf/innen, von denen Sie sich bei öffentlichen Anlässen gern begleiten und ablichten lassen. Im Jahr 2022 sollen sich die Kosten auf stolze 180 000 Euro belaufen haben.

Vorschlag: Wenn es Ihnen gelingt, die Prasserei für Ihr Image komplett durch Klagen gegen AfD-Mitglieder querzufinanzieren, stoßen wir uns weniger an Ihrem lockeren Umgang mit öffentlichen Geldern.

Drückt vorauseilend schon mal beide Augen zu: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Räpresentation

Als Legastheniker fühle ich mich immer etwas minderwertig und in der Gesellschaft nicht sehr gesehen. Deshalb habe ich mich gefreut, auf einem Spaziergang durch Darmstadt an einer Plakette mit der Aufschrift »Deutscher Legastheniker-Verband« vorbeizukommen. Nur um von meiner nichtlegasthenischen Begleitung aufgeklärt zu werden, dass es sich dabei um den »Deutschen Leichtathletik-Verband« handele und und umso teifer in mein Loch züruckzufalllen.

Björn Weirup

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Liebesgedicht

Du bist das Ästchen,
ich bin der Stamm.
Du bist der Golo,
ich Thomas Mann.
Du bist Borkum,
ich bin Hawaii.
Du bist die Wolke,
ich bin gleich drei.
Du bist das Würmchen,
ich bin das Watt.
Du bist die Klinke,
ich bin die Stadt.
Du bist das Blättchen,
ich jetzt der Ast.
Sei still und freu dich,
dass du mich hast.

Ella Carina Werner

 Der kästnerlesende Kniebeuger

Es gibt nichts Gutes
Außer man Glutes.

Sebastian Maschuw

 Claims texten, die im Kopf bleiben

Ist »Preissturz bei Treppenliften« wirklich eine gute Catchphrase?

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster