Inhalt der Printausgabe
März 2006
Humorkritik (Seite 3 von 9) |
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Doch, auch ich bin gut gelaunt aus »Matchpoint« gegangen. Nicht nur wegen Fräulein Johansson, die schon in »Lost in Translation« erquickte, oder wegen der sauber-symmetrischen Pointe Ball auf Netzkante/Ring auf Geländer, sondern auch, weil ich Woody Allen bei einem klaren Kunstfehler erwischt habe; wenn nicht sogar bei einer vorsätzlichen Unterlassung, ohne die der Geländer-Gag und damit der ganze schöne Film nicht funktioniert hätte. Wir erinnern uns: Nachdem der Emporkömmling Chris (Jonathan Rhys Meyers) seine schwangere Geliebte Nola (Scarlett Johansson) unter Vortäuschung eines Raubüberfalls samt ihrer alten Nachbarin erschossen hat, zählt er zu den Tatverdächtigen und steht vor dem eigentlich unlösbaren Problem, die Kripo nicht nur von diesem Verdacht ab-, sondern auch noch dazu zu bringen, die Angelegenheit diskret zu behandeln, denn das Bekanntwerden der Liaison würde unweigerlich seine Ehe mitsamt dem Luxusleben, um dessentwillen er die Tat überhaupt begangen hat, beenden. Als sich die Verdachtsmomente verstärken und die Katastrophe (Verhaftung und Öffentlichkeit) unabwendbar scheint, rettet ihn der Geländer-Gag resp. ein toter Junkie, in dessen Hosentasche der entlastende Ehering jener alten Nachbarin entdeckt wird, der von dem Geländer, über das Chris ihn zusammen mit dem übrigen Schmuck in die Themse geworfen hatte, zurück aufs Ufer gehüpft war. Einer der Scotland-Yardler wendet zwar ein, der Junkie könne den Ring gefunden haben, aber Chris ist aus dem Schneider. Doch genau der Grund, aus dem Chris Nola erschoß, entzieht Allens bestechender Pointe den Boden. Denn keine Kripo der Welt übersieht bei einer Frauenleiche eine Schwangerschaft. Diesbezügliche Untersuchungen, das weiß jeder »Tatort«-Gucker, gehören zur Gerichtsmedizin wie das Netz zum Tennis. Doch die unterbleiben in »Matchpoint« ebenso wie entsprechende Vorhaltungen im Verhör einschließlich des fälligen Vaterschaftstests. Nicht, weil Allen diese Banalitäten übersehen hätte, dazu ist er zu lange im Geschäft. Sondern weil dann der gute Chris unweigerlich hätte verhaftet werden müssen und die ganze schön ausgedachte Netzkante-Geländer-Analogie überflüssig geworden wäre. Aber er hat richtig spekuliert: Das Publikum war’s auch so zufrieden, und die Filmkritik, zumindest die deutsche, hat wie immer nix gemerkt. Außer mir natürlich. |
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