Inhalt der Printausgabe

März 2004


Humorkritik
(Seite 9 von 9)

Geistliche Verschlußsachen

Heute vor 90 Millionen Jahren trat unser Heimatplanet ins Erdmittelalter ein. Heute vor 150 Jahren hingegen erfand ein Weinbauer in Tübingen die tragbare Holzlaterne, mit der er sich künftig in der finsteren Nacht von der Wirtschaft heimleuchtete. Und 35 Jahre ist es jetzt her, daß ich zum vorletzten Mal die Zeitschrift Liboriusblatt in der Hand hielt, die sich "Wochenblatt für die katholische Familie" nennt. Heute vor einer Woche aber griff ich irgendwo in einen Zeitungsstapel und fand tatsächlich das Liboriusblatt. Und was soll ich sagen: Da läuft immer noch der Roman "Das Wunschhütlein" von Horst Wolfram Geißler in Serie, da inseriert immer noch Schwester Franziska aus Maria Trost und bittet um Unterstützung für die Arbeit der Mission, etwa "langes Schnitthaar ab 20 cm Länge, Perücken, Briefmarken, alte Münzen, abgelegte Zahngoldkronen, Schmuck und ähnliches". Und eine Firma preist ein Mittel an, das unschöne Damenbärte "sofort und dauerhaft" beseitigt. Wie vor Jahr und Tag. Ist die Zeit stehengeblieben?
Nicht ganz. Erstens ist der Chefredakteur des Liboriusblatts ein Mann, der möglicherweise noch gar nicht 35 Jahre alt ist, aber dafür Heribert Böller heißt. Zweitens wird im Liboriusblatt, Ausgabe vom 5. Oktober 2003, offenbar, wie rasch doch Mutter Kirche auf gesellschaftliche Veränderungen und wissenschaftlich-technische Innovation reagiert; und beispielsweise den Patentdruckknopf, den vor hundert Jahren ein gewisser Hans Prym erfand, als bahnbrechende Problemlösung "beim Öffnen und Schließen der Herrenhose beim Latz" präsentiert.
Und so funktioniert das Ding: "Ein kugelförmig verdickter Zapfen - leicht frivol auch ›Männchen‹ genannt - wird in eine an zwei Seiten von einer elastischen Feder eingeengte Öffnung - ›das Weibchen‹ - gedrückt. Dabei macht es hörbar ›klick‹." So beschreibt Helmut S. Ruppert, Mitarbeiter des Liboriusblatts, die Funktionsweise der Knöpfchen, die an der Dienstkleidung "einst von allen Klerikergenerationen akzeptiert waren". Ruppert hat sie nie genau gezählt, "die Knöpfe an der Soutane unseres Pfarrers", die noch echte Knöpfe waren. Der gesegnete Herr hatte in der "sonntäglichen Christenlehre einmal gesagt", es seien 33 Stück an dem bodenlangen Talar, "jeder der Knöpfe stehe nämlich symbolisch für eines der Lebensjahre Jesu". Ruppert erinnert sich "genau an die klammheimliche (!) Freude von uns Ministranten, wenn der Herr Pfarrer sich ›verknöpft‹ hatte; wenn er also oben am römischen Kollar den ersten Knopf aus Versehen ins zweite Loch gepfriemelt hatte". So blieb natürlich am unteren Ende des Herrn Pfarrers "ein Knopf ledig". Da war Halligalli in der Sakristei: denn der Pfarrer stieß sodann "heftige Unmutsäußerungen aus". Aber "uns ließ das heimlich feixen und in die Ärmel unserer Meßdiener-Rochetts hineinprusten". Was ein echt unverwüstlicher Katholiken-Humor.
Soutanen mit Knöpfen und Löchern finden sich heute wohl nur in den Museen der Erzdiözesen. Doch die Schwarzröcke sind auch keineswegs beim Patentdruckknopf geblieben. Nein, "die Zeiten ändern sich". Heute werden "die meisten Soutanen wie ein T-Shirt übergezogen, und ›echt‹ sind dann oft nur die oberen Knöpfe, so fünf bis zehn, die noch wirklich geknöpft werden". Aber das ist bei weitem nicht alles. "Fortschrittliche Pfarrer sollen sich inzwischen sogar des sogenannten Klettverschlusses bedienen, der sich bei Bedarf praktischerweise mit einem kräftigen ›Ratsch‹ trennen und damit öffnen läßt."
Das katholische Liboriusblatt ist vielleicht nicht das komischste Witzblatt im Bistum, aber der Katholik Heribert Böller erheitert mich allemal mehr als der Katholik Heinrich Böll. Deshalb lautet meine Empfehlung: Man kann das Liboriusblatt durchaus in die Hand nehmen. Alle 35 Jahre.



   1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9


Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hannover, TAK Ella Carina Werner
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg