Inhalt der Printausgabe
März 2004
Humorkritik
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Friederike die Große |
Seit dem 23. Februar ist es auch schon wieder hundert Jahre her, daß die bereits in der letzten Ausgabe hier beiläufig erwähnte Friederike Kempner ihr Erdenwallen eingestellt hat; Anlaß genug, ein wenig in der einzigen vertrauenswürdigen, nämlich der von Nick Barkow und Peter Hacks besorgten Neuausgabe ihrer Gedichte zu blättern. Auf diesen gut zweihundert Seiten Reimwerk fußt ihr Ruhm als Königin der unfreiwilligen Komik, mehrere Generationen haben sich schon über sie beömmelt, und ich prüfte mich bei der Lektüre aufmerksam, ob es mir gelänge, aufrichtig mitzuömmeln. Die beiden Grundvoraussetzungen unfreiwilliger Komik, nämlich Hochhinauswollen und Unvermögen, treffen in den Gedichten des "Schlesischen Schwans" mit schöner Regelmäßigkeit zusammen, allerdings meist unterhalb meiner Lachschwelle: "Der Krater der Berge Feuer sprüht, / Das Vöglein verstummt, das Blümlein verblüht, / Dies Bild gleicht der Habsucht gefährlichem Spiel, / Verheeren, verwüsten, vernichten ihr Ziel." Das ist nicht viel mehr als typische, also mittelmäßige, ungelenke Gedankenlyrik des neunzehnten Jahrhunderts und nicht weiter beachtens- und bewahrenswert. Stellenweise dichtet Kempner sogar richtig gut, weil kraftvoll und konzentriert: "Bittrer als der Tod ist Leben, / Wenn ein stolzes Herz verletzt - / Sieh', die Furien sich erheben, / Deren Stahl die Hölle wetzt." Wäre mir diese Strophe als sagenwirmal echter Heine präsentiert worden, ich hätte nicht gestutzt. Aber dann trägt der Wahn, ausgerechnet vermittels Poesie die Welt verbessern und die Uneinsichtigen zur Umkehr bewegen zu wollen, Kempner immer wieder prächtig aus der Kurve: "Anarchisten, seid Ihr Geister / Aus der Hölle tiefsten Gründen? / Ist der Böse Euer Meister, / Wollt die Menschheit Ihr anzünden? // Bringt Ihr eine Feuerflut? / Ach, Ihr wißt nicht, was Ihr tut! / Kehret in Euch - Recht und Ehre / Sind des Weltalls große Lehre" - und das rund siebzig Jahre vor Karl Gerold, der trotz aller eigenen Verdienste um die lyrische Fehlleistung wohl doch nicht als Original-Pfeife gelten darf, sondern als Musterepigone der, ja doch: immer noch komischen und durchaus unsterblichen Friederike Kempner. |
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