Inhalt der Printausgabe
Juni 2002
Literaturzapping Ror Wolf zum Siebzigsten (Seite 4 von 7) |
Das Zappen Goofys mit seinen komischen Folgen ist literarisch natürlich weder eine Erfindung Ror Wolfs noch der weiteren experimentellen deutschen Nachkriegsliteratur. Sondern mal wieder der Engländer, von deren Cross Reading genanntem Gesellschaftsspiel bereits Georg Christoph Lichtenberg bei einem Londonaufenthalt erfährt und profitiert: Zum Zweck des Spiels werden Zeitungsmeldungen ausgeschnitten, ihre Bestandteile durcheinandergebracht und neu zusammengelegt; die Bezeichnung Cross Reading leitet sich ab von der ursprünglich einfacheren Methode der Belustigung, beim Lesen der Zeitung nicht den Spalten zu folgen, sondern querdurch weiterzulesen. "Die Kürze der Form", glaubt Karl Riha, "mit ihrer Möglichkeit zur gedrängten Anspielung kommt dem Aphoristiker entgegen, als welcher Lichtenberg in die Literaturgeschichte eingegangen ist." Und so entstanden "Geistreichigkeiten" (Hebbel) wie diese: "Neulich gab der Churfürst dem Capitel ein splendides Diner - Drei Personen wurden gerettet, die übrigen ersoffen" - der humorhungrige Leser des ausgehenden 18. Jahrhunderts war womöglich leichter zufriedenzustellen als der heutige. Zum Glück liegen derart schlichte Späße Wolf fern, Parallelen sind aber nicht zu übersehen: Bearbeitet wird bevorzugt das triviale, niederliterarische Sprachmaterial der Massenmedien, die Perspektive aber hat sich geändert und will nicht mehr die Verdinglichung der Sprache, die Phrasen und Worthülsen bloßlegen, sondern die Zitate in der ihnen eigenen Sinn- und Beziehungslosigkeit nebeneinander stehenlassen und die Zukunft des Erzählens nach dem Ende der Fabel erproben. |
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