Inhalt der Printausgabe
Juni 2002
Literaturzapping Ror Wolf zum Siebzigsten (Seite 3 von 7) |
Die subtile Komik, die aus den Wolfschen Texten schimmert, wird dabei oft erst hinter der Katastrophe sichtbar: Das Ende der fremden Verhältnisse Ein Mann, der über die Schönheit von China berichten will, stürzt, aus etwa einhundertfünfzig Metern Entfernung, aus einem Ballon hinab auf die Erde und ist sofort tot. Die Geschichte wird auch ganz anders erzählt. So ist es gar kein Ballon, aus dem der Mann stürzt, und es ist auch nicht China, auf das er hinabfällt, sondern Marokko. Womöglich ist er auch gar nicht tot, sondern wird nur für tot gehalten. Zum Glück gehört dieser Fall ohnehin zu den Seltenheiten und braucht uns hier nicht zu beunruhigen. Der Mann, ein Vertreter, kommt mit dem Schrecken davon und eröffnet in Schruns ein Zigarrengeschäft. Das genügt. Das genügt natürlich nicht, 68 weitere "Nachrichten aus der bewohnten Welt" übermittelt uns Wolf in seinem gleichnamigen Buch, Nachrichten über "Klomm, eine unerwartete Erscheinung", "Die Verhinderung des Schlimmsten" oder "Das letzte Ende des Tages": Ich will etwas Luft schnappen, sagte ein Mann, bevor er das Zimmer verließ und hinausging in die Natur. Lesen Sie bitte morgen, was er tatsächlich getan hat. Mit Vergnügen. Obwohl auch diese Geschichte sicher ganz anders erzählt wird; aber darauf kommt es gar nicht an, denn ihr Inhalt ist selbstverständlich ihre Form: die auf den bloßen Gestus reduzierte Simulation des Geschichtenerzählens, die gleiche Simulation, die uns vorm Fernseh sitzen läßt in der Erwartung von Sinn oder zumindest Sinnvollem, von Handlung oder Information über Mensch und Tier, Raum und Zeit oder die Vorgänge in Schruns, auf die wir uns einen Reim machen wollen. |
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