Inhalt der Printausgabe

Februar 2001


Humorkritik
(Seite 4 von 8)

Der Trampert und sein Ebermann

Ein knapp zweistündiges Live-Programm, eine Lesung mit rustikalem Agitprop, das bietet die neue CD von Thomas Ebermann und Rainer Trampert "Verpaßt Deutschland den Anschluß?" (verlag die brotsuppe). Theoretisch-marxistisch wie gewohnt gut abgehangen und fundiert, aber so poliert und in eine süffige satirisch-polemische Form gebracht, daß auch ich noch gut mitkomme, vorgetragen mit diesem immer etwas hemdsärmelig und einigermaßen zupackend wirkenden norddeutschen Dialekt, der dafür wie geschaffen scheint. Zunächst einmal knöpfen sich die zwei den leider überaus erfolgreichen, sogar von der deutschen Nationalmannschaft schon in Anspruch genommenen und jüngst auch in TITANIC traktierten Motivationstrainer Jürgen Höller vor ("Erfolg ist ein Naturgesetz" usw.), der sich bei genauerem Hinsehen - und Ebermann/Trampert sehen genau hin - als asozialer Reaktionär entpuppt: "Wer arbeitslos ist, der hat es sich vielleicht über Jahre hinweg redlich verdient." Auch der um seinen Rüstungsetat kämpfende Ru. Scharping wird vorgeführt, dessen größte Sorge es zu sein scheint, Deutschland "militärisch nicht auf das Niveau von Dänemark rutschen" zu lassen. Der philosophische Stichwortgeber und Apologet einer neuen, eben genetischen Zuchtwahl, Pit "Blasen" Sloterdijk, wird entlarvt als einer, der die "grausamen Verhältnisse" der Zukunft eilfertig antizipiert und "rechtzeitig dabeisein will". Der Atomausstieg wird erklärt ("Nun rätseln alle, ob ein Werk so lange hält, daß es seinen Ausstieg noch erlebt"), das Opferlamento der Deutschen bei der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit seziert und kräftig weiterschwappende Esoterik-Wellen mit guten Gründen und schönen Beispielen als spirituelle Legitimation des Sozialdarwinismus entlarvt. Denn in der Tat: Wer Weisheiten wie "Alles ist gut, weil es geschieht" propagiert, hat sowohl gegen N. Ruge als auch gegen Auschwitz nichts mehr einzuwenden. Wenn es also tatsächlich unter meinen Lesern jemanden gibt, der linke Kulturkritik für anachronistisch und längst obsolet hält, dann kann sich diese Pfeife hier eines Besseren belehren lassen.


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Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Waidmannsheil, »Spiegel«!

»Europas verzweifelte Jagd nach Munition«, titeltest Du, und doch könnte es deutlich schlimmer sein. Jagd auf Munition – das wäre, so ganz ohne diese Munition, deutlich schwieriger!

Nimmt Dich gerne aufs Korn: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Man spürt das

Zum ersten Mal in meinem Leben war ich in New York. Was soll ich sagen: Da war sofort dieses Gefühl, als ich zum ersten Mal die 5th Avenue hinunterflanierte! Entweder man spürt das in New York oder man spürt es eben nicht. Bei mir war sie gleich da, die Gewissheit, dass diese Stadt einfach null Charme hat. Da kann ich genauso gut zu Hause in Frankfurt-Höchst bleiben.

Leo Riegel

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Überraschung

Avocados sind auch nur Ü-Eier für Erwachsene.

Loreen Bauer

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg