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Schenk mal wieder was – Der deutsche Feiertagskalender ist nicht dicht genug

"Jetzt beginnt die schlimme Zeit", sagt Franz Keitel und schüttelt verzweifelt seinen kahlen Kopf, "die ganz, ganz schlimme Zeit." Frank Keitel ist Marketingchef und CEO einer großen deutschen Süßwarenfirma, die ihren Namen hier nicht gern lesen möchte. Und die schlimme Zeit – sind die feiertagslosen Monate ...

"Ach, das Gejammer der Süßwarenindustrie", meint hingegen Moritz Kruse vom Verband der deutschen Geschenkewirtschaft (VddG), der neben ihm sitzt. Der hagere 55-jährige mit dem vollen Haar nimmt sich ein Fruchtbonbon aus der mundgeblasenen Rauchkristallglasschale auf dem Tisch. "Ihr müsst euch nicht so haben, ihr habt doch noch viel mehr Feiertage als der Rest der deutschen Geschenkewirtschaft ...", sagt er und fuchtelt mit der Hand in der Luft herum: "... um Valentinstag werden Pralinen und Blumen verschenkt, zum Muttertag Pralinen und Parfum. Anfang September gibt es schon wieder Weihnachtssüßkram."

"Aber sonst?", hält Frank Keitel entgegen. Und Recht hat er! Deutschland braucht mehr geschenkrelevante Feiertage! Da sind sich Kruse und Keitel einig. Das Weihnachtsgeschäft macht für den Einzelhandel fünfzig Prozent des Jahresumsatzes aus. Ostern ist auf dem Weg zu einem mittelprächtigen Geschenkefeiertag zu werden. Doch schon der viertürige "Osterkalender", den die deutsche Süßwarenindustrie um die Jahrtausendwende einführte, war ein veritabler Flop, weil die Osterzeit ja erst an Karfreitag beginnt. Und nach Ostern wird die Lage nicht besser. Der emotional sehr aufgeladene Muttertag wird inzwischen von einem Großteil der feministischen Mütter abgelehnt.
"Die wollen sich gar nichts schenken lassen!" Frank Keitel schnieft ins Taschentuch. Heuschnupfen?, fragen wir empathisch nach. "Ach was, ich bin total traurig und verzweifelt. Wie soll ich als alleinerziehender Vater in dieser prekären wirtschaftlichen Lage meinen Kindern jeden Tag was zu Essen auf den Tisch stellen? Außer Gummibärchen und Schokolade!" Er wischt sich die Tränen weg, die ihm in den Oberlippenbart laufen. Vatertag ist kein Geschenketag. "Da müssen wir noch dran arbeiten!", gibt sich Kruse selbstkritisch.

"Genauso wie Pfingsten", ergänzt Keitel. "O Gott, Pfingsten", seufzt Kruse, "absolutes Feiertagsödland. Niemand schenkt was zu Pfingsten – und was auch? Was verbinden die Menschen mit Pfingsten?" In der Tat ist Pfingsten das christliche Fest im Jahr, an dem sich alle fragen, was an Pfingsten eigentlich war. Weihnachten kommt der Weihnachtsmann, Ostern der Hase. Aber was kommt an Pfingsten? An Pfingsten kommen im Fernsehen Straßenumfragen, in denen gefragt wird, was an Pfingsten eigentlich passiert ist. Ähnlich wie bei der Zeitumstellung im Frühjahr und im Herbst. Aber Kruse hat recherchiert: "Pfingsten ist sowas ähnliches wie Halloween. Da kam der Heilige Geist und hat Feuer über die Jünger ausgegossen, die rannten dann rum und erzählten wirres Zeug. Da muss man ansetzen: Heiliger Geist, wirres Zeug erzählen: also Alkohol, Tankgutscheine, Horrorfilme, irgendwie so. Vielleicht auch Feuerwerk, Grillzubehör. Und Geschenkgutscheine. Geschenkgutscheine. Und nochmal Geschenkgutscheine."

Doch jetzt ist die schlimme Zeit: die riesige Feiertagslücke zwischen dem gerade vergangenen Pfingsten und Halloween. Viereinhalb Monate kein Feiertag. Kein Anlass zum Schenken. Absolute wirtschaftliche Flaute. "Wir müssen den Feiertagskalender dichter machen. Es darf eigentlich keine Woche vergehen, wo wir nicht irgendwas feiern. Wir feiern zu wenig", sagt Frank Keitel. "Und schenken zu wenig", ergänzt Kruse und nimmt sich noch ein Fruchtbonbon. Per Zufall fand Moritz Kruse bei seinen Recherchen vor ein paar Monaten im Internet die Seite www.kuriose-feiertage.de. Dort sind alle möglichen und unmöglichen Feier-, Gedenk- und Pseudofeiertage aufgelistet. An jedem Tag des Jahres gibt es mindestens einen. "Da wird sich doch was finden lassen, woraus sich ein Geschenkfeiertag machen lässt, das wäre doch gelacht", meint Kruse und lacht. "Hier, zum Beispiel, der 21. Mai. Weltuntergangstag, Zeit für ein letztes Geschenk. Oder hier: 9. Juni, Donald Ducks Geburtstag. Da muss man doch was schenken. Weihnachten ist doch auch nichts anderes als ein großer Geburtstag. Und wer Donald Duck nicht mag, kann ja am 14. Juli was schenken – Spongebobs Geburtstag, oder am 31. Juni – Harry Potters Geburtstag – oder gar am 22. September, da haben Frodo und Bilbo Beutlin Geburtstag. Und wir wissen ja, wie diese Hobbits so drauf sind, wenn die Geburtstag haben. Da wird nicht das Geburtstagskind beschenkt, nein, es beschenkt alle Freunde und Verwandte. Sowas müssten wir auch einführen. Einen Kulturwandel des Schenkens!"

"Wir müssen überhaupt viel multikultureller werden", ergänzt Frank Keitel, "wir müssen die Feiertage der anderen Religionen und Kulturen in unseren Kalender integrieren. Da sind in anderen Religionen so viele Feiertage, die wir in Deutschland noch nicht feiern. An den Muslimen können wir uns ein Vorbild nehmen, die feiern unser Weihnachten, obwohl Jesus im Islam jetzt nicht so die Rolle spielt. Da können wir doch auch Milad-Un-Nabi feiern – den Geburtstag des Propheten oder das Fastenbrechen nach dem Ramadan oder das Opferfest. Da gibts doch bestimmt auch Geschenke, und wenn nicht, führen wir das ein. Schenken ist doch so schön."
"Und bei unseren jüdischen Mitbürgern sieht es ähnlich aus", mischt sich Kruse ein, "Weihnachten hat drei Feiertage und nur einmal Bescherung. Ungefähr zur gleichen Zeit feiern die Juden Chanukka. Das dauert acht Tage – acht! – das ist fast dreimal so lang wie Weihnachten – und es gibt an jedem Tag Geschenke. Sowas brauchen wir!"

Keitel und Kruse wollen auch eine andere Idee in die Tat umsetzen, die die beiden während der Corona-Zeit entwickelt haben: Den "Schenk-mal-wieder-was"-Tag. Ein Tag, an dem einfach und ohne Grund allen Leuten, die man mag und kennt, was schenken kann. "Gern auch nur eine Kleinigkeit, sie muss ja nicht billig sein", sagt Kruse. "Und was wäre peinlicher, als am 'Schenk-mal-wieder-was'-Tag kein Geschenk zu haben, für jemanden, den man mag und zufällig trifft. Und der natürlich gerade ein Geschenk für einen hat."
"Sehr peinlich", bestätigt Keitel und nickt. Und nimmt sich ein Gummibärchen.

 

Michael-André Werner

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Gude, Fregatte »Hessen«!

Du verteidigst Deutschlands Demokratie zur Zeit im Roten Meer, indem Du Handelsrouten vor der Huthi-Miliz schützt. Und hast schon ganz heldenhaft zwei Huthi-Drohnen besiegt.

Allerdings hast Du auch aus Versehen auf eine US-Drohne geschossen, und nur einem technischen Fehler ist es zu verdanken, dass Du nicht getroffen hast. Vielleicht ein guter Grund für die USA, doch nicht auf der Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels zu beharren!

Doppelwumms von Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Ziemlich beunruhigt, Benjamin Jendro,

lässt uns Ihr vielzitiertes Statement zur Verhaftung des ehemaligen RAF-Mitglieds Daniela Klette zurück. Zu dem beeindruckenden Ermittlungserfolg erklärten Sie als Sprecher der Gewerkschaft der Polizei: »Dass sich die Gesuchte in Kreuzberg aufhielt, ist ein weiterer Beleg dafür, dass Berlin nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzte, bundesweit und global agierende linksextreme Szene ist.«

Auch wir, Jendro, erkennen die Zeichen der Zeit. Spätestens seit die linken Schreihälse zu Hunderttausenden auf die Straße gehen, ist klar: Die bolschewistische Weltrevolution steht im Grunde kurz bevor. Umso wichtiger also, dass Ihre Kolleg/innen dagegenhalten und sich ihrerseits fleißig in Chatgruppen mit Gleichgesinnten vernetzen.

Bei diesem Gedanken schon zuversichtlicher: Titanic

 Genau einen Tag, Husqvarna Group (Stockholm),

nachdem das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt hatte, mussten wir was auf heise.de lesen? Dass auf Deinen Rasenmähern der »Forest & Garden Division« nach einem Software-Update nun der alte Egoshooter »Doom« gespielt werden kann!

Anders gesagt: Deine Divisionen marodieren ab sofort nicht nur lautstark mit Rasenmähern, Traktoren, Motorsägen, Motorsensen, Trennschleifern, Rasentrimmern, Laubbläsern und Vertikutierern durch unsere Gärten, sondern zusätzlich mit Sturmgewehren, Raketenwerfern und Granaten.

Falls das eine Demonstration der Stärke des neuen Bündnispartners sein soll, na schön. Aber bitte liefere schnell ein weiteres Software-Update mit einer funktionierenden Freund-Feind-Erkennung nach!

Hisst die weiße Fahne: Titanic

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt