Humorkritik | Juni 2018

Juni 2018

Gravitätischer Ernst ist recht eigentlich das Wesen des Betrugs und der Heuchelei. Er läßt uns nicht nur andere Dinge mißverstehen, sondern ist fast stets in Gefahr, sich selbst zu verfehlen.
Anthony Ashley-Cooper, 3. Earl of Shaftesbury

Der Schaukelstuhldandy

Anscheinend ist das jetzt modern: Zitate seines Nachwuchses mit etwas zu viel Bedeutung zu beladen und als Buchtitel zu mißbrauchen. Mit »Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muß mich mal irgendwo hinlegen. Remix 3« hat Benjamin von Stuckrad-Barre nicht nur seine neue, dritte Geschichtensammlung (erschienen bei Kiepenheuer & Witsch) nach einem Ausspruch seines kleinen Sohnes benannt, er versucht auch inhaltlich, jung und heutig zu werden. Zu diesem Zweck hat er monatelang das Jugend- und Internetportal Instagram vollgemacht, auf seinem Profil durften Leute wie Klaas Heufer-Umlauf, Michael Beck und Adel Tawil den Buchtitel in eine Handykamera sprechen, denn so macht man 2018 Werbung. Zumindest das hat BSB mitbekommen. Sonst allerdings nichts.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis reicht, um das zu erkennen. Das auftretende Personal trägt noch immer Namen wie Boris Becker, Jürgen Fliege, Madonna, Christian Ulmen, Helmut Dietl (†), Harald Schmidt oder WM 2010: Das ist die Welt von Stuckrad-Barre, die gute alte Fernsehwelt, die Post-Bonner-Republik, ergänzt durch Springer und Plattenläden. Diesen Leuten BEGEGNET er also (von Stuckrad-Barre gelernt: phrasige Wörter groß schreiben), wie immer an unterschiedlichsten Orten, und dann ist alles so ein bißchen krampfig und die Protagonisten sagen etwas, das ironisch ist, wenn man es mal in DEN und DEN Zusammenhang rücken WÜRDE, den Stuckrad-Barre natürlich nicht vorgibt, aber den man mit ihm denkt, und dann schüttelt man den Kopf oder kichert. Denn da ist er ja der Beste drin: Phrasen ausfindig zu machen, sie zu entlarven, ohne ihnen etwas hinzuzufügen, Dinge auch mal im Raum stehen zu lassen, und man muß feststellen, daß er ein CHRONIST ist, ein unglaublicher BEOBACHTER und STUDENT der Menschen, ein Oberflächenkratzer usw. usf. … Sie sehen schon: Man wird schnell infiziert von diesem betont lässigen Schlurfstil, der auf die Dauer sehr nerven kann. An manchen Stellen allerdings stellt sich durchaus Amüsement ein, weil etwa Jürgen Fliege vollends einen an der Waffel hat, dabei jedoch ehrlich ist und wirklich dahintersteht, gesegnete Kräuterflüssigkeiten zu verscherbeln, weil er halt die Kohle braucht. Wenn man dann noch Stuckis aufgeregten Konzertbericht von Madonna liest, seine süße Besprechung des Pop-Hits »Happy« von Pharrell Williams, wenn er sich mit seiner Freundin ein Tattoo stechen läßt und dabei über Liebe philosophiert, die Arbeit des Künstlers Thomas Demand einordnet und sich mal wieder in Walter Kempowski verliebt, dann wird man allmählich versöhnt, weil Verdruß sich mit Vergnügen paart, und man weiß nicht, ob man mit Stuckrad-Barre lacht oder über ihn. Ist aber auch egal.

Früher der viel zu schnelle Wahnsinnsüberfliegertyp, wirkt er heute, während ohnehin alle anderen ständig durchdrehen, wie ein leicht hängengebliebener Schaukelstuhldandy. Sein Buch hat nichts gemein mit dem Jahre 2018. Mir fällt kein Argument ein, warum das schlecht sein sollte.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Vielen Dank, Claudia Schiffer!

Die Bunte zitiert Sie mit der Aussage: »Um zu überleben, muss man gesund sein, und wenn man am gesündesten ist, sieht man einfach auch am jüngsten aus!« Gut, dass Sie diese Erkenntnis an uns weitergeben!

Geht jetzt zur Sicherheit bei jeder neuen Falte, Cellulitedelle und grauen Strähne zum Arzt:

Ihre greise Redaktion der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella