Humorkritik | August 2014

August 2014

Preis 2

Um im Literaturbetrieb zu bleiben und von Rubino- zu Streeruwitz zu wechseln: Die Freude des Feuilletons über deren Buchpreis- und Gschaftlhuberroman »Nachkommen.« (S. Fischer) ließ mich mißtrauisch werden – zu Unrecht allerdings. Wie Marlene Streeruwitz’ Protagonistin, die junge Autorin und Buchpreiskandidatin Nelia (= Alien?) Fehn, da von den Frankfurter Literaturchauvis herumgeschoben wird, in billigen Hotels übernachten muß, das reaktionäre Plappern vermeintlicher Sprachschützer erträgt, die sich dem Wort »Autorin« verweigern und dies mit einer »Ästhetik der Rhetorik« begründen; wie sie von einem gealterten Journalisten behelligt wird, der sich von der Zwanzigjährigen einen »Facebook-Roman« wünscht; wie sie im Preisrennen gegen die Verfasserin einer »DDR-Mädchengeschichte« unterliegt, später von Verlagsteilhabern liebevoll als »unser Investment« bezeichnet wird (Zitat: »Wir schreiben schließlich auch«, nämlich: Bilanzen) und schließlich der Kulturministerin begegnet (»Wenn ich schon auf der Frankfurter Buchmesse bin, dann möchte ich auch alle österreichischen Erfolge genießen«) – das hat mir vor allem in der ersten Hälfte gut gefallen. »Nachkommen.« ist kein öder Schlüsselroman, sondern wütend geschrieben und stellenweise gut satirisch. Zugunsten dessen verzeihe man der Streeruwitz ihre schwächeren Passagen und ihren mitunter merkwürdigen Künstel-Satzbau von manchmal schon Meister Yodascher Qualität (»Die Wärme vom Magen sich ausbreitend die letzte Erinnerung an die Kälte verschwinden ließ«). An diese Ellipsen und vielfachen Satzanläufe gewöhnt man sich übrigens fix. Außerdem machen sie in guten Szenen Spaß und ermöglichen bei schlechteren ein kursorisches Blätter-Lesen, das einen doch nicht den Faden verlieren läßt.

Allüberall wird nun angekündigt, Streeruwitz werde im Herbst unter dem Alias ihrer Protagonistin Nelia Fehn deren Buch im Buch veröffentlichen, meint: den im Roman beschriebenen, für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman – was diverse Rezensenten kichrig mit der Möglichkeit spielen ließ, sowohl Streeruwitzens als auch »Nelia Fehns« Roman könnten sich konkurrierend auf der Shortlist ebendieses Buchpreises finden. Mir macht der Gedanke keinen Spaß. Würde Marlene Streeruwitz, nominiert für irgendeine Short-, Long- oder Dingdonglist, diesen Preis dann auch annehmen, käme ich in die verzwickte Lage, »Nachkommen.« nachträglich ablehnen zu müssen. Dann wäre es nämlich keine Betriebskritik gewesen, sondern als bloß kokettes Getändel wieder eingemeindet. »Es war schon o.k., daß die Ereignisse nicht den Glanz bekamen, den man sich versprochen hatte.« Ich verspreche mir Streeruwitz’ Ablehnung jedwedes Preises. Möge sie glänzen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hoppla, Berliner Gefängnischefs!

Drei von Euch haben laut Tagesspiegel wegen eines Fehlers der schwarz-roten Regierungskoalition statt einer Gehaltserhöhung weniger Geld bekommen. Aber der Ausbruch von Geldnöten soll durch einen Nachtragshaushalt verhindert werden. Da ja die Freundschaft bekanntlich beim Geld endet: Habt Ihr drei beim Blick auf Eure Kontoauszüge mal kurz über eine Ersatzfreiheitsstrafe für die nachgedacht, die das verbrochen haben?

Wollte diese Idee nur mal in den Raum stellen: Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg