Humorkritik | Februar 2011

Februar 2011

Komischer Held

Kaum ein Held wirkt komischer, als der, der sich dauernd fragt, warum ihn bloß keiner mag, wenn die Ursache für den Leser so evident ist.

 

Fritz J. Raddatz fragt sich in seinen Tagebüchern immer wieder: Bin ICH nun zu intelligent, zu elegant oder einfach zu gut für diese Welt? Dabei müßte er sich nur fragen: Wen mag denn ICH überhaupt? Es sind Dutzende von Figuren, denen er in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrtausends in seinem Literaturbetrieb nähertritt und die er in seinen Tagebüchern beschreibt – es bleibt kaum ein halbes, an dem er schließlich auch nur ein gutes Haar läßt. Dabei sind seine Urteile so scharf, daß es an ein Wunder der Verstellung grenzte, wenn die Betroffenen seinen Böswillen nicht wenigstens erahnt hätten. Zumal die Vermutung naheliegt, daß er im Gespräch mit vielen seine Abneigung anderen gegenüber genüßlich ausgeführt hat.

 

In seinen bei Rowohlt erschienenen Tagebüchern tut Raddatz das zumindest, und seine Impertinenz macht die Lektüre tatsächlich amüsant: An Großzügigkeit mangelt es – außer ihm – fast allen. Manieren hat – außer ihm – fast keiner. Bildung ist für fast alle – außer ihm – eindeutig Mangelware. Nur Eitelkeit erkennt er nicht bloß bei anderen, sondern auch bei sich selbst. Wobei die seine letztlich in die bohrende Frage mündet: Bin ICH nicht doch viel zu bescheiden? Ein Vorwurf, den wohl jeder gern hört – wenn auch leider viel zu selten.

 

Den Vorwurf, falsch zu zitieren, ist Raddatz ja gewohnt, und er rechtfertigt ihn wieder aufs schönste: »Ich kenne ja auch den Kafkasatz: Weltkrieg ausgebrochen – war im Schwimmbad«, behauptet der Kafkakenner. Kafkas Tagebucheintrag vom 2. August 1914 lautet bestenfalls so ähnlich: »Deutschland hat Rußland den Krieg erklärt. – Nachmittag Schwimmschule.«

 

Vor dem Hintergrund der abgewohnten ersten Adressen, die sorgfältig notiert werden, vom Hotel Lutetia, Paris, bis zum Reid’s auf Madeira, entbehren selbst seine sozialistischen Bekenntnisse und die daraus abgeleiteten moralischen Imperative nicht einer gewissen Komik. Nur sein ewiges Lamento: »Warum hab ausgerechnet ICH es so schwer?« wird ein wenig überstrapaziert; verbirgt sich dahinter doch die uralte Frage: »Muß etwa auch ICH sterben? Und wenn ja: Wieso?«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Rrrrr, Jesus von Nazareth!

Im andalusischen Sevilla hast Du eine Kontroverse ausgelöst, der Grund: Auf dem Plakat für das Spektakel »Semana Santa« (Karwoche) habest Du zu freizügig ausgesehen, zu erotisch, ja zu hot!

Tja, und wie wir das besagte Motiv anschauen, verschlägt es uns glatt die Sprache. Dieser sehnsüchtige Blick, der kaum bedeckte anmutige Körper! Da können wir nur flehentlich bitten: Jesus, führe uns nicht in Versuchung!

Deine Dir nur schwer widerstehenden Ungläubigen von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
01.05.2024 Berlin, 1.-Mai-Fest der PARTEI Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
02.05.2024 Dresden, Schauburg Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg