Humorkritik | Februar 2011
Februar 2011

Gefühlte Literatur
Harald Martensteins neuer Roman »Gefühlte Nähe« (Bertelsmann) läßt mich ebenso ratlos zurück wie seine Kolumnen im Zeit-Magazin. Die sind, obwohl die meiste Zeit eher bräsig, gedankenarm und gezeichnet von dem neurotischen Bedürfnis, den als linksliberal imaginierten Adressaten durch müde Verstöße gegen die politische Korrektheit zu provozieren, gelegentlich durchaus luzide, sogar komisch; gern auch unfreiwillig, wenn Martenstein täppisch mit seinen Kritikern abrechnet oder trotzig darauf besteht, ungern Steuern zu zahlen.
»Gefühlte Nähe« ist ähnlich ambivalent: frisch-ironisch erzählt und in einer originellen Perspektive gehalten (das Leben einer Frau, »N.«, wird erzählt aus der Sicht ihrer 23 Liebhaber), verärgert das Buch den wohlmeinenden Leser ungefähr nach der Hälfte durch den Unwillen des Autors, seine Männer irgend anders darzustellen denn als lächerliche Loser, »N.« hingegen als Streberin, deren ständig wechselnde Partnerschaften und erotischer Opportunismus sie moralisch disqualifizieren sollen. Im Bedürfnis des Autors, seine Hauptfigur auf Teufel komm raus als widersprüchlich und rätselhaft zu zeichnen, verliert sie nahezu jede Glaubwürdigkeit, und so ergeht es auch den satirisch und zeitkritisch gemeinten Stellen, denen es schlicht an Originalität fehlt – etwa, wenn der Innerlichkeitsjargon der späten Siebziger denunziert werden soll (»Du bist gewalttätig zu mir, dein Verhalten ist passiv-aggressiv«), Schwule als liebesunfähig und Sozialisten als verkappte Faschisten dargestellt werden (»Widerspruch wurde nicht gerne gesehen«). Das hat man alles schon mal gelesen, und auch sprachlich innovativer: Warum zum Geier sprechen 23 grundverschiedene Herren in fünf verschiedenen Jahrzehnten alle im gleichen lakonisch-larmoyanten Tonfall? Wer über solche Details hinwegsehen kann, ärgert sich über die artifizielle Konstruktion von Fallhöhe; am peinlichsten ist der Teil der Erzählung, der zur Zeit des Mauerfalls spielt: Den erlebt N. nämlich während eines SM-Spiels mit einem ihrer vielen Loser-Lover. Uff.
Manches an diesem Roman ist so gut, daß man es sich von einem anderen Autor als dem Langweiler Martenstein wünscht; anderes ist so schematisch und lieblos gemacht, daß sich nichts anderes einstellt als tiefe, tiefe – Ratlosigkeit.