Humorkritik | Februar 2011

Februar 2011

Satireblätter aus Österreich

Alte Thesen rosten nicht, aber hin und wieder sollte man sie auf Bruchstellen überprüfen. Nun denn: Daß eine Kultur der geschriebenen Satire in Österreich seit dem letzten Jahrgang von Krausens »Fackel« (1936) de facto nicht existiert, hat mir immer schon eingeleuchtet. Zu ubiquitär ist dortzulande das Kabarett, zu sehr scheint österreichische Satire des Performativen zu bedürfen. Die letzten Jahre aber haben gleich drei Satireblätter ausgetrieben: 2007 die Wiener Hydra, 2008 das Linzer Moff, 2009 der Wiener Rappelkopf.

 

Rappelkopf, Österreichs »exquisites Satiremagazin« (Selbstbezeichnung), gibt sich elegant und gediegen. Hochglänzend sind die Titelblätter, auf deren aktuellem man den Kopf des grimassierenden Ex-Finanzministers Grasser sieht. Im Heft versteckt ist der Hinweis, das Bild zeige ihn »beim Orgasmus«. Ältere Ausgaben haben Walzertanz, Opernball und einen geigespielenden Gevatter Tod auf dem Cover oder einen Lipizzaner, der Mozartkugeln äpfelt. Ob das Abspulen von Österreichklischees und der Nachweis, daß Finanzminister beim Sex deppert aussehen, schon exquisite Satire ist? Nein, Rappelkopf-Titel sollen offenbar nicht lustig sein, sondern schlicht diversen österreichischen Karikaturisten als Plattform dienen. Und der Heftinhalt? Auch der ist weniger von einem satirisch-redaktionellen Geist geprägt, sondern fungiert lediglich als Forum für Kabarettisten und Zeichner: Jeder werkelt vor sich hin, hier malt einer seine politische Karikatur, dort schreiben zwei andere einen kabarettistischen Dialog, der eigentlich auf die Bühne gehört. Die große Richtung fehlt, alles soll bloß gut aussehen. Da fällt es auch nicht auf, wenn eine Kolumne aus Ausgabe 3 wortgleich in Ausgabe 4 erscheint. Ansonsten: gutgemeinte Photoshop-Montagen oder Promizitate: »Es verlangt viel Mut, ohne Make-up rauszugehen« (Victoria Beckham) – wenn das erfunden ist, dann ist es nicht komisch. Und wenn es echt ist – warum wird es zitiert? Daß andernorts hingegen satirische Nachhilfe erteilt und die Funktion von Metaphern oder die »drei Schritte zur Pointe« erklärt werden, wirkt in seiner Arroganz fast schon wieder, nun ja: komisch.

 

Hydra wiederum legt auf satirische Deutungshoheit keinen Wert, hier herrscht die entkrampfte Lust am Infantilen. Vieles ist albern, manches daneben oder unfreiwillig rätselhaft (ein Fotoroman namens »Faschostreß am Ponyhof«), manches doch lustig: »Ist Papa Schlumpf Antisemit? Stehen unsere blauen Freunde nicht im krassen Gegensatz zum hakennasigen, buckeligen, häßlichen, nach Gold raffendem (sic) Kaftanträger Gargamel?« Man merkt: Auch auf Grammatik kann Hydra verzichten. Es scheint sich weniger um ein Magazin mit Relevanzanspruch zu handeln, das es auf Öffentlichkeit abgesehen hat, als um ein Spaß- und Unsinnsprojekt unter Freunden. Einen Extrapunkt für Subversivität gebe ich Hydra für seine Coverpolitik: Kein Heft gleicht dem anderen, wild variieren Format und Gestaltung: Mal ist es Parodie eines Lifestylemagazins, dann wieder die eines Reclam-Bändchens oder einer Jugendzeitschrift. Niemand, der einmal Hydra gekauft hat, wird die nächste Ausgabe wiedererkennen. Den Machern dürfte dieser Umstand sympathisch wurscht sein.

 

Moff schließlich ist ein Kleinstmagazin im Scheckbuchformat und besteht ausschließlich aus Zeichnungen und Comicstrips des Karikaturisten Gerhard Haderer. Haderers Lieblingsgag ist der Running Gag: Monat für Monat streitet da der Bundeskanzler mit dem Vizekanzler im Sandkasten, Monat für Monat greift dort ein Chef seiner Sekretärin an den Hintern und bekommt ihre Faust in den Schritt, Monat für Monat unterhält sich Königin Elizabeth mit Prinz Charles in krausem Deutsch und schlägt ihm am Ende das Zepter auf den Kopf. Dazwischen gibt es mehrteilige Starschnitte, etwa von der Innenministerin oder von Adolf Hitler, aber auch Illustrationen zu der Überlegung »Wie wäre die Welt wohl geworden, wenn man Jesus damals nicht ans Kreuz genagelt hätte, sondern einbetoniert / unabsichtlich vergiftet / in zwei Sätzen vernichtet?«. Im Herrgottswinkel eines frommen Linzer Ehepaares sieht man dazu abwechselnd eine stilisierte Mischmaschine, einen toten Stinkefisch und einen Federballschläger.

 

Ist meine eingangs geäußerte These nun haltbar? Lassen Sie es mich so formulieren: Wo zeitgenössische österreichische Satire heute relevant sein möchte, da mag sie nicht auf Unterstützung und die Mechanismen des Kabaretts verzichten – wie der Rappelkopf. Wo sie darauf verzichtet, will sie nicht relevant sein – wie Hydra. Moff wiederum, das »Feine Schundheftl«, möchte offensichtlich gar kein Satiremagazin sein. Und so sehe auch ich in Österreich weit und breit kein solches.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Nicht zu fassen, »Spiegel TV«!

Als uns der Youtube-Algorithmus Dein Enthüllungsvideo »Rechtsextreme in der Wikingerszene« vorschlug, wären wir fast rückwärts vom Bärenfell gefallen: In der Wikingerszene gibt es wirklich Rechte? Diese mit Runen tätowierten Outdoorenthusiast/innen, die sich am Wochenende einfach mal unter sich auf ihren Mittelaltermärkten treffen, um einer im Nationalsozialismus erdichteten Geschichtsfantasie zu frönen, und die ihre Hakenkreuzketten und -tattoos gar nicht nazimäßig meinen, sondern halt irgendwie so, wie die Nazis gesagt haben, dass Hakenkreuze vor dem Nationalsozialismus benutzt wurden, die sollen wirklich anschlussfähig für Rechte sein? Als Nächstes erzählst Du uns noch, dass Spielplätze von Kindern unterwandert werden, dass auf Wacken ein paar Metalfans gesichtet wurden oder dass in Flugzeugcockpits häufig Pilot/innen anzutreffen sind!

Nur wenn Du versuchst, uns einzureden, dass die Spiegel-Büros von Redakteur/innen unterwandert sind, glauben Dir kein Wort mehr:

Deine Blauzähne von Titanic

 Lustiger Zufall, »Tagesspiegel«!

»Bett, Bücher, Bargeld – wie es in der Kreuzberger Wohnung von Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette aussah«. Mit dieser Schlagzeile überschreibst Du Deine Homestory aus Berlin. Ha, exakt so sieht es in unseren Wohnungen auch aus! Komm doch gern mal vorbei und schreib drüber. Aber bitte nicht vorher die Polizei vorbeischicken!

Dankend: Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Eine Frage, Miriam Meckel …

Im Spiegel-Interview sprechen Sie über mögliche Auswirkungen künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt. Auf die Frage, ob die Leute in Zukunft noch ihr Leben lang im gleichen Beruf arbeiten werden, antworten Sie: »Das ist ja heute schon eher die Ausnahme. Ich zum Beispiel habe als Journalistin angefangen. Jetzt bin ich Professorin und Unternehmerin. Ich finde das toll, ich liebe die Abwechslung.« Ja, manchmal braucht es einfach einen beruflichen Tapetenwechsel, zum Beispiel vom Journalismus in den Fachbereich Professorin! Aber gibt es auch Berufe, die trotz KI Bestand haben werden? »Klempner zum Beispiel. Es gibt bislang keinen Roboter mit noch so ausgefeilter KI auf der Welt, der Klos reparieren kann.«

Das mag sein, Meckel. Aber was, wenn die Klempner/innen irgendwann keine Lust mehr auf den Handwerkeralltag haben und flugs eine Umschulung zum Professor machen? Wer repariert dann die Klos? Sie?

Bittet jetzt schon mal um einen Termin: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dünnes Eis

Zwei Männer in Funktionsjacken draußen vor den Gemüsestiegen des türkischen Supermarkts. Der eine zeigt auf die Peperoni und kichert: »Hähä, willst du die nicht kaufen?« Der andere, begeistert: »Ja, hähä! Wenn der Esel dich juckt – oder nee, wie heißt noch mal der Spruch?«

Mark-Stefan Tietze

 Die Touri-Falle

Beim Schlendern durchs Kölner Zentrum entdeckte ich neulich an einem Drehständer den offenbar letzten Schrei in rheinischen Souvenirläden: schwarzweiße Frühstücks-Platzmatten mit laminierten Fotos der nach zahllosen Luftangriffen in Schutt und Asche liegenden Domstadt. Auch mein Hirn wurde augenblicklich mit Fragen bombardiert. Wer ist bitte schön so morbid, dass er sich vom Anblick in den Fluss kollabierter Brücken, qualmender Kirchenruinen und pulverisierter Wohnviertel einen morgendlichen Frischekick erhofft? Wer will 365 Mal im Jahr bei Caffè Latte und Croissants an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert werden und nimmt die abwischbaren Zeitzeugen dafür sogar noch mit in den Urlaub? Um die Bahn nicht zu verpassen, sah ich mich genötigt, die Grübelei zu verschieben, und ließ mir kurzerhand alle zehn Motive zum Vorteilspreis von nur 300 Euro einpacken. Seitdem starre ich jeden Tag wie gebannt auf das dem Erdboden gleichgemachte Köln, während ich mein Müsli in mich hineinschaufle und dabei das unheimliche Gefühl nicht loswerde, ich würde krachend auf Trümmern herumkauen. Das Rätsel um die Zielgruppe bleibt indes weiter ungelöst. Auf die Frage »Welcher dämliche Idiot kauft sich so eine Scheiße?« habe ich nämlich immer noch keine Antwort gefunden.

Patric Hemgesberg

 Pendlerpauschale

Meine Fahrt zur Arbeit führt mich täglich an der Frankfurt School of Finance & Management vorbei. Dass ich letztens einen Studenten beim Aussteigen an der dortigen Bushaltestelle mit Blick auf sein I-Phone laut habe fluchen hören: »Scheiße, nur noch 9 Prozent!« hat mich nachdenklich gemacht. Vielleicht wäre meine eigene Zinsstrategie selbst bei angehenden Investmentbankern besser aufgehoben.

Daniel Sibbe

 Teigiger Selfcaretipp

Wenn du etwas wirklich liebst, lass es gehen. Zum Beispiel dich selbst.

Sebastian Maschuw

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
19.04.2024 Wuppertal, Börse Hauck & Bauer
20.04.2024 Eberswalde, Märchenvilla Max Goldt
20.04.2024 Itzehoe, Lauschbar Ella Carina Werner
24.04.2024 Trier, Tuchfabrik Max Goldt