Humorkritik | Februar 2011

Februar 2011

Stuckrads Late Leid

Die Sendung wird um 22.30 Uhr ausgestrahlt, der Vorspann zeigt nächtliche Impressionen, es gibt einen Moderator mit Anzug, Krawatte, Sidekicks und Schreibtisch, einen Monolog, lustig gemeinte Einspielfilmchen und einen Studiogast – es muß sich also um eine Latenight-Show handeln. Doch ist »Stuckrad Late Night« (donnerstags auf ZDF Neo) ihrem Titel zum Trotz keine. Denn wie bei fast allem, was Benjamin von Stuckrad-Barre gerne vorgibt zu sein (Schriftsteller, Journalist, politischer Kommentator, Berliner), schimmert in erster Linie der Schein, der Abglanz, die Imitation – am besten zwei- bis dreifach ironisiert, um die eigenen Unzulänglichkeiten als bewußte Pose zu tarnen. Doch selbst wenn man Stuckrad-Barre abkaufen wollte, er sei ein Profi, der den aufgeregten Amateur lediglich mimt, so wäre bei einem Konzept, das wesentlich vom selbstbewußten Sendungsbewußtsein des Moderators lebt, mit dieser Haltung kein Publikum zu gewinnen. Also resigniert Stuckrad-Barre bereits nach der ersten qualvoll reaktionsarmen Viertelstunde der Auftaktsendung und entgegnet seinen Zuschauern: »Ist mir doch wurscht. Machen Sie, was Sie wollen, ich find’s lustig.«

 

So wurschtig der Moderator, so auch die Sendung: stets derart knapp daneben, daß die Komik kläglich scheitert. Sein Co-Produzent, der notorisch überschätzte Christian Ulmen, nuschelt als Kunstfigur Uwe Wöllner klamaukiges Halbwissen zum aktuellen Thema herunter. Sollte sich in einem dieser Zuspieler tatsächlich ein guter Scherz wiederfinden, wird man ihn übersehen, weil eine bemitleidenswerte Figur wie Wöllner ohne einen ernstmeinenden Gegenspieler schwerlich belacht werden kann; würde eine ernste Figur die gleichen Witze erzählen, wirkte sie möglicherweise sogar komisch. Auch die zweite Kunstfigur, der »freie Journalist Gero Schorch«, gespielt von Jörg Diernberger, erzeugt keinerlei Reibung: Zwar wird er auf echte Menschen losgelassen, agiert aber sowohl in der Konzeption als auch in den Gesprächen schlicht zu einfallslos, als daß er mehr als nur Verwunderung erntete. Besonders fehl am Platz sind die Sidekicks Hajo Schumacher und Jörg Schönbohm, die als vermeintliches Links-Rechts-Politduo Stuckrad-Barre korrigieren und die Show kommentieren sollen, im Gegensatz zum »Muppets-Show«-Vorbild Waldorf und Statler aber nur unbeholfen dazwischenquatschen.

 

Sollte Stuckrad-Barre irgendwann zu der Sicherheit finden, die er in einer auf Umwegen an die Öffentlichkeit geratenen Testsendung im Gespräch mit Thilo Sarrazin zeigte, könnte er etwas glückhafter agieren, als er es derzeit tut. Bezeichnenderweise war es jedoch wieder Sarrazin, der als neuerliche Gast in der ersten Sendung den einzigen größeren Publikumslacher produzierte, und zwar mit der Antwort auf die Frage nach dem besten Spruch seiner Frau: »Thilo, nicht schon wieder!« Wenn Thilo schon nicht auf seine Frau hört, sollte vielleicht Stuckrad-Barre den Satz als Anregung verstehen.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Ein Vorschlag, Clemens Tönnies …

Während Ihrer Zeit im Aufsichtsrat bei Schalke 04 sollen Sie in der Halbzeitpause einmal wutentbrannt in die Kabine gestürmt sein und als Kommentar zur miserablen Mannschaftsleistung ein Trikot zerrissen haben. Dabei hätten Sie das Trikot viel eindrücklicher schänden können, als es bloß zu zerfetzen, Tönnies!

Sie hätten es, wie Sie es aus Ihrem Job kennen, pökeln, durch den verschmutzten Fleischwolf drehen und schließlich von unterbezahlten Hilfskräften in minderwertige Kunstdärme pressen lassen können.

Aber hinterher ist man immer schlauer, gell?

Dreht Sie gern durch den Satirewolf: Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg