TITANIC Plattenkritik: Kanye West – The Life of Pablo (Teil 1)
1. Ultralight Beam (feat. The-Dream, Kelly Price & Chance The Rapper)
Gluckernde Beats, entspannte Midtempo-Passagen, ein bißchen Hamburger Schule, ein bißchen "Hip-Hop meets Rap" (Rog. Willemsen): Der erste Track besticht durch Vielseitigkeit. Mal erinnert West an den frühen Van Morrison, mal an die mittlere Miley Cyprus, dann wieder an den zu spät Gekommenen, den das Leben bestraft. West ist ein begnadeter Eklektizist, klaubt sich aus der Musik- und Literatur- und Architektur-Geschichte stets das Kultigste heraus und fügt es – mit nicht wenig Chuzpe! – zu einem Premium-Konglomerat der Extraklasse, das seinen Namen verdient. So auch hier. Credits to Mr. West.
2./3. Father Stretch My Hands Pt. 1 & 2 (feat. Future, Kid Cudi & Desiigner)
Ein erster Durchhänger im Album, passiert aber selbst den Größten, no offense! Leichte Flüchtigkeitsfehler im Aufbau, verzeihliche Nachlässigkeiten in der Prä- und Postproduktion, that’s it. Wiewohl die SZ mind. 3 Hits im Track vermutet, ist die Realität eine andere, liegt der Prantlbert ausnahmsweise mal falsch: Wests innovativer "Sprechgesang" (Juice Magazin) harmoniert weder mit der Triangel Michelle Obamas noch mit David Garretts Geigerzähler, das hätten sich die drei auch sparen können. Kleiner Pluspunkt die Texte, doch die sind bei Musik ja nicht so wichtig, da hätte er schon Lyriker werden müssen. Aber – mit Verlaub – wieviele Platten verkauft Urs Grünbein (Switzerland) denn schon? Genau!
4. Famous (feat. Rihanna & Swiss Beatz)
Hier liefert West lupenreinen Pop mit Jazz- und Grunge-Anleihen. Es klingt, als hätten Grandmaster Flash und Brian Eno einen feuchtfröhlichen Abend in Steven Averys Wohnwagen verbracht. Und vergessen, die Aufnahmetaste zu drücken. An den Reglern saß kein Geringerer als Dr. Dre, der Gert Postel of the U.S., und der konnte alles anhand von herumliegenden Vibes irgendwie rekonstruieren. Say whaaaaaat?
5. Feedback
Morricone-Zitate, pizzicatoähnliche Gitarren, das quengelige Lamento von Mark. E. Smith. Auch wenn diese Attribute bloß ausgedachter Schwachsinn sind, scheint eines scheinbar evident: In diesem Song (bzw. Track) gibt Mr. Schwermut den Ton an, trifft Lars von Triers (Rheinland-Pfalz) "Melancholia" auf die düsteren Endzeitvisionen Robert Enkes. Andererseits diese unerschütterlich gute Laune von Kanye West! Beinahe schon wiederum ein Stück weit paradox. Als würden Mr. President und Jochen Distelkamp (Ex-Blumfeld) gemeinsam auf dem M'era Luna Festival spielen. Klasse Song, man wippt so mit.
6./7. Low Lights/Highlights (feat. Young Thug)
Achtung, Gospel-Alarm. Als hätten Whoopi Goldberg und fuckin’ Margot Käßmann ein Weihnachtsalbum aufgenommen, mit soundsoviel Promille. Yeah, der Konjunktiv 2, ein billiger Vergleich und eine Stimulanz (üblicherweise: LSD): So funktioniert Qualitätsmusikjournalismus, der sein Handwerk gelernt hat. Als hätte Tobias Rap (!) Dirk Peitz über die massige Schulter geschaut. Auf Lorazepam. Aber zurück zum Song (auch: Lied): Schon recht ordentlich gearbeitet, die Harmonien nerven, aber die Bass Drum ist auf dem neuesten Stand. Einziger Wermutstropfen die fehlenden Untertitel. 10 von 250 Punkten, wg. Gospel.
8./9. Freestyle 4/I Love Kanye (feat. Desiigner)
Klaustrophobisch sagen die einen (SZ), wir nennen es KAFKAESK, weil’s cooler klingt + auch noch halbwegs zutrifft: Kan. West macht nämlich erneut kurzen Prozeß mit den Hatern, wirkt wie verwandelt, die kongenialen Klezmer-Sounds von Maximum Broad laden zum Mitschunkeln ein. Ganz klar Daumen hoch, zumal auch noch – das darf nicht unterschlagen werden! – das Schlagzeug wummst. Und wenn das Schlagzeug wummst, dann sollte man das genau so aufschreiben. Was aber machen die Beats? Sie treiben wie Cowboys Rinder in Texas. Von wem war das jetzt noch gleich? Bitte um Zuschriften.
Fortsetzung folgt.
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