Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Sack und Pack
Man wird nie recht glücklich mit Meinungsverboten, und sei’s nur deshalb, weil sie den Delinquenten ins Recht setzen: „Es reicht ... nicht, zu sagen, der Pirinçci ist ein Nazi“, sprach der Nazi Pirinçci der Nazizeitung Junge Freiheit in den Block. „Nein, sie wollen, daß ich nicht mehr weiterrede. Sie wollen meine Existenz vernichten ... Ich habe vorhin mit meinem alten Verleger von Random House telefoniert. Er hat mich darauf vorbereitet, daß sie meine Bücher nicht mehr weiter verbreiten. Alle Bücher, die ich geschrieben habe. Es wäre ein unfaßbarer Druck aufgebaut worden, und zwar ausgerechnet von anderen Autoren, also von Kollegen. Das ist wirklich unglaublich. Unsere Instrumente als Autoren sind die Meinungsfreiheit, die Pressefreiheit, die Kunstfreiheit. Wenn Politiker oder normale Bürger Boykotte fordern, kann ich das verstehen, aber wenn so etwas ausgerechnet von Kollegen kommt, dann ist das für mich unfaßbar. Schriftsteller verlangen, daß ein anderer Schriftsteller verboten wird … In welcher Zeit leben wir denn, wenn Kollegen, deren Instrument die Meinungsfreiheit ist, fordern, daß ein Schriftsteller verboten wird? Sogar harmlose Bücher wie Katzenkrimis. Die Kollegen hätten mir doch mit der gleichen Wortwahl antworten können. Die könnten doch sagen, der Pirinçci ist ein Wichser oder ein Arschloch oder ein Nazi. Einer von der übelsten Sorte. Das kann man doch machen. Aber daß man hingeht und sagt, vernichtet seine Existenz, das gab es doch eigentlich nur in den Nazi-Zeiten, dachte ich. Ich hätte so etwas nie für möglich gehalten. Ich käme nie im Leben auf die Idee zu sagen: Verbietet die Bücher von Sibylle Berg.“ Die nämlich, jedenfalls laut Pirinçci, für seinen Rauswurf eingetreten war.
„Du willst es. Du kriegst es.“ Handywerbeslogan, 2007ff.
Der Volksverhetzungsparagraph ist rechtstheoretisch nicht unheikel, und überhaupt wird es rutschig, wenn die Grenzen der Meinungsfreiheit weit überschritten werden: Kann eine Meinung „verbrecherisch“ sein? Sie kann verbrecherisch wirken; aber heißt das, daß der Führer das deutsche Volk dereinst „verhetzt“ hat? Exkulpiert das, wenn einer hetzt und andere folgen, nicht die Umstände und Interessen, die Hetze begünstigen, fördern, billigen, benötigen? Hat das, was der Wichser Pirinçci gesagt/insinuiert hat: daß es noch so weit kommen werde, daß Deutsche ins KZ müssen, nicht einfach die allgemeine deutsche Opferjammerei in puncto Versailles, Bombenkrieg, Vertreibung auf den Begriff gebracht? Ist, apropos, der ehrbare Horst Seehofer nicht ein ebenbürtiger Rassist, wenn er sich den Vergleich von deutschen und syrischen Vertriebenen verbittet? Hat Random House seinen (einträglichen) Autor Pirinçci das Hetzbuch „Deutschland von Sinnen“ nicht ohne weiteres durchgehen lassen, und beruht dessen sagenhafter Erfolg nicht darauf, daß kein Satz darin steht, der so oder ähnlich nicht auch schon bei Springer zu lesen war? War Knut Hamsun (Random House) nicht ein glühender Bewunderer Hitlers und der Meinung, daß es für die deutschen Konzentrationslager „gute Gründe“ gebe? Ist es nicht, freundlich gesprochen, ein wenig kurios, wenn die Fa. Bertelsmann, Erfinderin von Hartz IV und Bologna-Uni, sich via Pirinçci als Hüterin von Demokratie und Menschenrecht in die Brust wirft? Und es nicht vielleicht auch hier so, daß den Sack zu schlagen heißen muß, den Esel zu meinen?
Ich stehe sicher nicht im Verdacht, mit dem Naziwichser P. zu sympathisieren (vgl. TITANIC 5/2014). Aber ich bin selten glücklich mit Meinungsverboten, und sei’s nur deshalb, weil sie noch das größte Arschloch ins Recht setzen.
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