Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Rasant, rasant? Nee: Asylant
Alles, was in diesem Land geschieht, geschieht für die gesellschaftliche Mitte. Stimmt nicht? Muß aber stimmen, wenn sich gleich zwei Einlassungen in der faz.net-Kommentarleiste für den kleinen Mann (in Gestalt des deutschen Autofahrers) in die Bresche werfen; und nämlich wider die erwogene Straßenreparaturabgabe: „Man wird den Eindruck nicht los, daß hier eine Einnahmequelle geschaffen werden soll, die früher oder später Lust auf mehr weckt. (…) Den deutschen Autofahrern ist schließlich versprochen worden, daß sie über die üppigen Abgaben und Steuern hinaus, die sie schon leisten, nicht noch mehr belastet werden sollen“, insistiert Jasper v. Altenbockum, und die unverwüstliche Heike Göbel sekundiert: „Doch Albig weiß auch, daß er mit Zuspruch rechnen kann für den Befund, die Reparatur der kaputten Verkehrswege erfordere mehr Geld als bisher vorgesehen. Wenn dem so ist, lautet der naheliegende Schluß freilich nicht, die Abgaben – unter welch klingendem Namen auch immer – noch weiter zu erhöhen. Naheliegender wäre es, die rekordverdächtig steigenden Steuereinnahmen stärker zur Sanierung der Infrastruktur zu nutzen, die Ausgaben anderswo also entsprechend zu kürzen.“
Dies von einer, die vor Jahren den Entschluß des Handyherstellers Nokia begrüßte, sein hochsubventioniertes Werk in Bochum, nachdem genügend hochsubventionierte Gewinne eingefahren waren, zu schließen, weil derlei nämlich im „Interesse des Kunden“ sei, und jenes von einem, der so aussieht, als habe er noch nie im Leben Schlange gestanden. Und trotzdem wird das zentrale Ressentiment des brav steuerzahlenden Staatsbürgers mit leichter Hand bedient: daß er nach Strich und Faden abgezockt werde und daß von seinem schönen Geld nur irgendwelche „Ausgaben anderswo“, nämlich „Sozialausgaben“ (Altenbockum) finanziert würden, die übrigens „deftig gestiegen“ (ders.) seien. Im Sub- bzw. Klartext: Erst muß ich Pöbel und Faulenzer mästen, und jetzt soll ich auch noch Schlaglöcher flicken helfen?
Die Münchner Kollegen können es, am selben Tag, nicht schlechter: „Mindestlohn treibt die Preise“ lautet die Printtitelschlagzeile, weil sich das Kilo Spargel absehbarerweise um „20 bis 50 Cent“ verteuern und auch der höhere Lohn für Taxifahrer und Friseurinnen die Kundschaft erreichen wird. Nachdem der niedere Instinkt bedient ist – Preistreiber Mindestlohn –, kann derselbe Redakteur, man ist ja linksliberal, drei Seiten später die Stühle wieder geraderücken: „Die große Mehrheit hält die 8,50 Euro für eine gute Sache. Da wäre es nur konsequent, nicht nur fürs Auto oder den Urlaub, sondern auch für Lebensmittel ein bißchen mehr auszugeben.“ Oder den Friseur, der am unteren Rand für zehn Euro/Haarschnitt operiert und der doch eigentlich im selben Boot sitzt wie der automobile, enragierte Leser, der bei der Netz-Rundschau die „sozialen Wohltaten“ höhnisch in Anführungszeichen setzt, weil er nicht gelernt hat, sie um „Arbeitgeber“ zu setzen.
„Mehr Unrecht in der Welt, weil es eine Presse gibt, die es erlogen hat und die es beklagt!“ Kraus, 1914
Die 100 Euro, die der Albig fürs Straßenwesen eintreiben will, verjubelt der Qualitätszeitungsredakteur an einem gewöhnlichen Abend beim Italiener, und das Geld, das ihm der Verlag für den Biospargelkauf überweist, erhält er dafür, den Kleinbürger, dessen zeitgenössische Synonyme „Steuerzahler“ und „Autofahrer“ sind, bei der freiheitlich demokratischen Stange zu halten. Denn ohne ihn läuft der Laden nicht, und er muß nicht wissen, wo der Feind steht (nämlich seit Tucholskys und noch älteren Zeiten unverändert rechts), sondern bloß, wie er aussieht: etwa wie ein rumänischer Spargelstecher mit Lust auf mehr samt seinen politischen Sachwaltern. Selbst wenn bürgerlicher Journalismus nicht bereits strukturell Propaganda wäre, so wäre er's jedenfalls da, wo er für die kleine Frau Partei ergreift, indem er deren Ressentiment als begründet spiegelt, damit es nur nicht jene treffe, die es verantworten und ausbeuten. Und auch wenn wir mit dem Etikett „faschistisch“ gern haushalten wollen: leicht machen's uns die Kollegen (m/w) nicht.
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