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Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Oben ohne

Wenn mich das islamische Kopftuch befremdet, dann nicht, weil ich mir seinetwegen „fremd im eigenen Land“ vorkäme; das tu ich aus ganz anderen Gründen. Es befremdet mich so, wie mich das Tattoo des Mittelschichtsmanns in Shorts befremdet, der sich seinen Jahrgang („1969“) vertikal aufs Schienbein hat stechen lassen. Mich befremdet, was Aufklärung zurücknimmt, deren Erfolg es zwar ist, daß jeder und jede tun, lassen und glauben kann, was er oder sie will, deren tieferer Sinn aber darin liegt, daß gewisse Dinge nicht mehr benötigt werden; „Identität“ als notwendig kollektive und autoritäre gehört dazu. (Dann ist die Frage auch verkehrt, wie „freiwillig“ ein Kopftuch sei – der Mann aus dem Café trägt sein Tattoo ja gleichfalls freiwillig –, und die netten Musliminnen, die in der Titelgeschichte des SZ-Magazins dafür streiten, mit Kopftuch Richterinnen oder Lehrerinnen werden zu dürfen, sind natürlich auch nicht die von Tradition, Patriarchat und Ehrenmord Geknechteten, mit denen das Volksempfinden das Kopftuch verbindet.)

Was haben sich alle gefreut, als Navid Kermani als Bundespräsident im Gespräch war, weil plötzlich wieder von „Spiritualität“ die Rede sein konnte, und der katholische Schriftsteller Mosebach applaudierte dem Umstand, daß sich Muslime wenigstens noch vor Allah in den Staub würfen, was ja wohl die einzige Konsequenz aus dem Glauben an einen allmächtigen Gott sei. „Und wo hört man heute eigentlich noch Christen von Gott reden, einfach so, aus sich heraus?“ will ein fetter Zwischentitel a.a.O. wissen. „Schon mal ein religiöses Bekenntnis im Alltag gehört?“ Die Frage will das leitkulturelle Geschwafel von „christlich-jüdischer Identität“ als völlig leer und Söders Kreuze als bloß der Ausgrenzung dienend desavourieren: „Das ist das Gegenteil von sinnlichem Glauben, das ist Identitätspolitik mit Religionssymbolen“, bewundert aber diesen „sinnlichen Glauben“, „Spiritualität“ und jenen muslimischen „Glaubensstolz“, von dem Pfarrer Prantl neulich gesprochen hat und der uns urbanen Agnostikern halt fehlt, die wir nicht einmal dann spirituell werden, wenn „der Sex bis ins Hirn gebitzelt hat“ (Magazin-Autorin Fritzsche). „Unvorstellbare Szene: Freunde sitzen zusammen beim Abendessen, sie probieren den neuen Japaner im Viertel aus, einer erzählt von seinem jüngsten Erlebnis mit Gott.“ Wenn das Kopftuch dafür sorgen soll, daß diese Szene wieder vorstellbar wird, dann muß ich’s freilich ablehnen.

„Auch törichte Gesetze geben Freiheit und Ruhe des Gemüts, sofern sich nur viele ihnen unterworfen haben.“ Nietzsche, 1886

Das Dilemma des Staates besteht darin, daß frau füglich glauben dürfen muß, daß ihr Seelenheil davon abhänge, ihr Haar nicht zu zeigen, vor Gericht und in der Schule aber weltanschauliche Neutralität geboten ist, wobei diese Neutralität als eine theoretische verstanden werden darf. An die Marktdemokratie glauben nämlich alle, und wer bei Weltwirtschaftsgipfeln Flaschen wirft, geht schon mal für zweieinhalb Jahre in den Kahn; befangener wird eine Richterin mit Kopftuch auch nicht sein. Von christlich konservativer Seite wird gern beklagt, daß Religion im Alltag immer weniger zu sehen sei; da sage ich: Prima, denn Religion ist eine Privatangelegenheit und öffentliche Religion Reaktion. Ist das Kopftuch, sofern seine Trägerin eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, nun eine Privatangelegenheit, ein Accessoire? „In Sport und Popkultur“, freut sich Fritzsche, „wurden in den vergangenen Monaten sämtliche Hürden genommen: erstes ,Vogue’-Cover mit Kopftuchträgerin, erste Olympiateilnehmerinnen mit Kopftuch. In einer US-Castingshow, die Designer-Talente sucht, stand eine Frau mit Kopftuch im Finale, die ausschließlich muslimische Mode entworfen hatte. Überall wird das Kopftuch sichtbarer, bekommt neue Bedeutungen, verändert seine Symbolik.“ Die aber doch in keinem Fall zu einer nicht-religiösen, nicht-identitären wird, so wie das Kreuz, an welchem Popkultur ja auch nicht ganz vorbeigegangen ist, nach wie vor und unbestritten Religion (oder wenigstens „christliches Abendland“) meint, sonst würde Söder es nicht aufhängen. Hier richtet sich ein Angebot nach einer Nachfrage, und daß die wächst, daß Religion zurückkehrt, und sei’s als Reaktion auf andauernde Diskriminierung und den völkisch-kulturalistischen Identitätsdiskurs abendländischer Mehrheiten, führt zu dem, was Marx als den Anfang aller Kritik bestimmte. „Imagine there's no countries / It isn't hard to do / Nothing to kill or die for / And no religion, too“ – es mag einmal Kitsch gewesen sein, sich auf diese Träumerei John Lennons zu berufen; doch heute können die einen nicht ohne identitätsverzweifelte Kriegsbemalung leben und die anderen nicht ohne religiösen Gehorsam. 

„[Ein] Vater hat seine Position sehr klar gemacht: Sobald das Tuch ihr beruflich schade, müsse es runter. Er sei nicht Ende der achtziger Jahre nach Deutschland gekommen, habe Nachtschichten als Staplerfahrer am Flughafen gerissen, was aufgebaut, die Familie nachgeholt und fünf Kindern die Uni bezahlt, damit die sich heute solche Sperenzchen wie das Kopftuch leisten.“ SZ-Magazin, 2018

Darüber wäre also zu reden; aber da darüber nicht geredet werden soll (und auf den Gedanken, es müsse darüber geredet werden, schon gar niemand mehr kommt), sitzt die freiheitliche Ordnung da nun zu Recht zwischen den Stühlen: Will sie Lehrerinnen und Richterinnen, die Religion und religiöse Demut für sichtlich unverzichtbar halten; oder will sie Neutralität auf dem Rücken derer, deren Spleen zufällig nicht der Spleen der (rassistischen) Mehrheit ist?

Glücklich, wer die Frage nicht beantworten muß, weil er lieber eine andere stellt; ja sozusagen eine ganz andere.




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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Prophetisch, »Antenne Thüringen«?

Oder wie sollen wir den Song verstehen, den Du direkt nach der von Dir live übertragenen Diskussion zwischen Mario Voigt und Björn Höcke eingespielt hast? Zwar hat der Thüringer CDU-Fraktionschef Höckes Angebot einer Zusammenarbeit nach der Wahl ausgeschlagen. Aber es wettet ja so manche/r darauf, dass die Union je nach Wahlergebnis doch noch machthungrig einknickt. Du jedenfalls lässt im Anschluss den Musiker Cyril mit seinem Remake des Siebziger-Lieds »Stumblin’ in« zu Wort kommen: »Our love is alive / I’ve fallen for you / Whatever you do / Cause, baby, you’ve shown me so many things that I never knew / Whatever it takes / Baby, I’ll do it for you / Whatever you need / Baby, you got it from me.« Wenn das nicht mal eine Hymne auf eine blau-schwarze Koalition ist!

Hätte sich dann doch eher »Highway to Hell« gewünscht: Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Grüß Gott, Businesspäpstin Diana zur Löwen!

Du verkaufst seit Neuestem einen »Anxiety Ring«, dessen »bewegliche Perlen« beim Stressabbau helfen sollen. Mal abgesehen davon, dass das einfach nur das hundertste Fummelspielzeug ist, kommen uns von ihren Nutzer/innen glorifizierte und zur Seelenerleichterung eingesetzte bewegliche Perlen an einer Kette verdächtig bekannt vor.

Ist für Dich natürlich super, denn auch wenn Du Deinen treuen Fans skrupellos das Geld aus der Tasche ziehst, in die Hölle kommst Du zumindest für diese Aktion sicher nicht.

Auch wenn dafür betet:

Deine Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Mitgehört im Zug

»Prostitution ist das älteste Gewerbe der Welt!« – »Ja, aber das muss es ja nicht bleiben.«

Karl Franz

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg