Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Das alte Lied
Für den Kolumnisten ist, wir hatten das schon, immer Murmeltiertag. Diese Kolumne hat, ihre Vorgängerin am anderen Platz eingerechnet, ihren zehnten Geburtstag ja nun auch schon hinter sich, und trotzdem ist alles wie zu Beginn: „Wirecard-Skandal weitet sich massiv aus“, schreit es mir und dem Rest der „erschöpften Welt“ (Dietmar Dath) vom Morgenblatt entgegen, und dass es nie vorwärts geht, allenfalls abwärts, ist auch dann noch wahr, wenn die Kinder, weiß man, für Zukunft, Unschuld, neuen Anfang stehen. Und also noch als kleinste jedes Geschenk wert sind: „Interaktiver Spielzeugotter mit beleuchteter Tastatur bringt dem Baby das ABC und erste Wörter bei. Jede Taste entspricht einem Buchstaben. Wird die Taste gedrückt, hört das Baby den Buchstaben und ein Wort, das damit beginnt … Sortierspiel: Ihr Baby muss die Größe der Möhren erkennen, um sie wieder in den Steckplatz einsetzen zu können. Entwicklungsvorteile: Während Ihr Kleinkind mit diesem Holzspielzeug spielt, entwickelt er/sie auch Feinmotorik, Hand-Augen-Koordination, Formerkennung und Geschicklichkeit … Helfen Sie Kindern dabei, ihre Vorstellungskraft und Handflexibilität zu steigern, trainieren Sie die Hand-Augen-Koordination und koordinieren Sie beide Hände. Fördern Sie die Entwicklung des Gehirns … So trainieren Kinder spielerisch ihre motorischen Fähigkeiten … Fördert die Farberkennung“, damit Henry die Farben besser erkennt als Ida: Vorsprung durch Technik.
„Mensch ärgere Dich nicht“, dieses unschuldigste aller Spiele, fördert neuerdings die Konzentration. Es die Hölle, von Anfang an, und sich das Ende der Welt vorzustellen, sagt Mark Fisher, ist längst leichter, als sich das Ende des Kapitalismus vorzustellen. Noch leichter ist es, das eigene Ende auf dem Pflegeabstellgleis zu imaginieren, und es ist genau diese Angst, die für die Angst sorgt, bei der Hand-Augen-Koordination in Rückstand zu geraten, weil Chancengesellschaft bedeutet, Chancen zu nutzen oder gerechterweise unterzugehen: Friss oder stirb.
„Komm, sing uns mal ein schönes Lied / Eines, wo man sich so richtig gut nach fühlt“ Degenhardt, 1965
„Also“, sang Degenhardt vor 50 Jahren, „die beiden Arbeitskollegen sind Konkurrenten. Warum? Weil das nützt denen, von denen sie ausgenützt werden. Und jetzt wollen die ausgenützten Arbeitskollegen so sein wie die, die sie ausnützen.“ Mehr muss man über die Freuden selbstverlängernder Konkurrenzidealistik, wie sie sich im schlichtweg unausweichlichen Förderprogramm für Kleinstkinder weniger vulgär denn deprimierend ausdrücken, gar nicht wissen, aber wer weiß es, wer will es wissen? Wer unterliegt, hat verloren, und wer verliert, ist schuld, und so unsichtbar ist die unsichtbare Hand eben doch nicht, dass der Krampf nicht an jedem Eck und allen Enden wirklich überdeutlich würde; doch wer, mit Adorno, in der Hölle noch atmen kann, ist so froh darüber, dass er sich weigert, die Hölle zur Kenntnis zu nehmen, gar über sie zu sprechen. Es ist tatsächlich so, dass es weithin nicht mehr geht: Die einen wissen nicht, wovon die Rede ist, die anderen wissen es zu gut, das Ergebnis ist dasselbe.
„Ihr wollt die Massen befreien?“ lässt Degenhardt an anderer Stelle, aber vor genau derselben Ewigkeit einen modernen Sozialliberalen die Linke fragen. „Ha, ha, ha, ha! Von was denn? Von Kühlschränken, Eigenheimen und Autos? Nee, mein Lieber, die wissen Bescheid! Die blasen euch einen! Ihre Massen, die wollen geleitet werden und ihre Ruhe haben! Und das bieten wir. Die Industrie schafft ganze Armeen von Sozialpartnern und Verbrauchern, und im übrigen kann jeder machen, was er grad’ will!“ Und weil das so und prima ist, warnt das nächste Morgenblatt wg. Schulschließungen vor einer „verlorenen Generation“, denn den Kundenwunsch bedienen heißt, Öl ins Feuer gießen, und das heißt, jene Angst schüren, die denen nützt, denen alles nützt, heute wie, ich fürchte, morgen.
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