Gärtners kritisches Sonntagsfrühstück: Bravo
Gestern hat S. Lewitscharoff den Büchnerpreis, den bedeutendsten Literaturpreis im deutschen Sprachraum, erhalten, und Kollege Hans Mentz hat das, was zur Qualität dieser späten Bürgerkunst zu sagen ist, so schön gesagt, daß ich's gern noch mal hinschreibe: „Maßkonfektionierte Konsensprosa für Feuilleton und Literaturpreisjurys, bißchen Avantgarde, bißchen Bildung, bißchen Witz, und zwar genau so tantig abgezirkelt, daß Zeit-Leser beim Schmunzeln den Tee nicht verschütten. Ein Fön für das gefrorene Meer in uns, und der läuft auf der kleinsten Stufe.“
Andererseits (Dialektik, es bleibt ein Kreuz) ist Dame Lewitscharoff natürlich eine ganz und gar glückliche Wahl, wie das Interview verrät, das die Künstlerin, „mit Ehrungen schon bisher überschüttet“, dem Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung gegeben hat: „Im Blickwinkel aller mediterranen EU-Länder hat der Euro ein Gesicht, ein deutsches Gesicht. Bei allem Respekt vor der deutschen Leistungskraft sieht man darin auch häßliche Züge. Verständlicherweise?“ – „In die Zerrbilder von Angela Merkel mischen sich Ressentiments (!) aus dem Zweiten Weltkrieg hinein, besonders bei den Griechen. Natürlich trifft die aktuelle Krise viele in diesen Ländern schwer. Trotzdem ist es falsch, nach Schuldigen anderswo in Europa zu suchen, statt die Ursachen im eigenen Land aufzuspüren. [...]“ – „Und die als gnadenlos empfundenen Sparauflagen?“ – „Über die harte Sparpolitik zu klagen, ist eine Sache. Die andere aber ist, daß zusätzliche Kredite nur gerechtfertigt sind, wenn die Empfänger die Gewähr bieten, daß die Summen nicht versickern, sondern vernünftig investiert werden.“
„Always to be right, always to trample forward, and never to doubt – are not these the great qualities with which dullness takes the lead in the world?“ Thackeray, 1848
Das einfachste wäre nun, sich auf den Standpunkt zu stellen, daß eine Schriftstellerin nicht unbedingt Ahnung haben muß von den Dingen, die sich jenseits ihres Schreibtischs abspielen, und steckte meine kleine Bibliothek nicht noch in Umzugskisten, ich könnte nachsehen, ob sich Franz Kafka in belastbarer Weise zum Vertrag von Rapallo geäußert hat oder nicht. Was aber sofort einleuchtet, ist, wie eine solch depperte Mainstream-Meinung eine Mainstream-Prosa beglaubigt, die wiederum vom gesellschaftlich-kulturellen Mainstream (Ingeborg Bachmann-Preis, Marie Luise-Kaschnitz-Preis, Preis der Literaturhäuser usf.) ohn' Unterlaß abgenickt wird. Natürlich sind Preise nicht dazu da, Devianz zu belohnen, und tun sie es doch, dann bloß, um Devianz einzugemeinden und stillzustellen (Sartre, der den Nobelpreis ablehnte, hat es noch gewußt, und Peter Handke hat 1999, aus Protest gegen den deutschen Balkankrieg, sein Büchnerpreisgeld von 1973 zurückgegeben). Der Büchnerpreis für Lewitscharoff und ihre sterbensöde Coffee Table-Prosa in Wort und Schrift nimmt nicht einmal mehr diesen Umweg: die Affirmation der Affirmation. Und wo wir bereits argwöhnten, das Land feiere geradezu eine immer fadenscheiniger kaschierte Totalität aus Rembremerdeng und Weiter so, dann spielen seine Akademien dazu zum Tanze.
Ganz ehrlich: Bravo.
PS. Der ursprüngliche Gedanke, den britischen Entschluß zu kommentieren, gegen jede auch ökonomische Vernunft zwei neue Atomkraftwerke zu errichten, konnte verlustfrei aufgegeben werden: Die sture, von sich selbst berauschte Korruptheit ist wesensmäßig dieselbe.
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