Humorkritik | September 2023
September 2023
»Still ruhte wieder alles, und halbbewußt bat Kurtchen, es möge dabei bleiben; er hatte tatsächlich den Eindruck, er müsse beim nächsten Anfall von Humoristik sicher sterben.«
Stefan Gärtner, »Glanz und Elend des Kurtchen Sahne«
Scherze zur Auflockerung
Mal angenommen, Sie werden mit der anspruchsvollen Aufgabe betraut, jemandem zu erklären, was es mit dem ominösen jüdischen Humor auf sich hat: Dann würde ich Ihnen raten, sich ohne Definitionsversuche aus der Affäre zu ziehen und einfach die Lektüre von Joshua Cohens Roman »Die Netanjahus« (Schöffling) zu empfehlen. Weil das ein Buch ist, das nicht nur Elemente des besagten Humors aufweist, sondern diesen auch noch reflektiert. Und gut ist es obendrein. Mehr kann man nicht verlangen.
Der unheroische Held dieses im Wintersemester 1959/60 an einer fiktiven Provinzuni im US-Staat New York spielenden Campus-Romans ist Ruben Blum, Historiker mit dem Schwerpunkt Steuergeschichte, der sich, ohne lange zu fackeln, selbst einführt als Verkörperung des »übergewichtigen, von Bluthochdruck geplagten, stets besorgten, gar angsterfüllten Inbegriffs des unbeholfenen, überintellektuellen, bescheidenen, selbstironischen jüdischen Klischees, mit dessen Karikierung zum Beispiel Woody Allen ebenso wie etliche andere jüdisch-amerikanische Autoren erstaunliche finanzielle und sexuelle Erfolge erzielt haben«. Philip Roth wird auch noch genannt, und da wären dann also bereits die unverzichtbaren Referenzgrößen aufgezählt, die gemeinhin als Maß aller Dinge des jüdischen Humors gelten. Letzterer wird von Cohen – auch er ein jüdisch-amerikanischer Autor, und hoffentlich einer mit befriedigenden finanziellen und sexuellen Erfolgen – nicht nur karikiert, sondern zugleich weiter am munteren Leben gehalten. Etwa indem er die Familie Blum, die mit dem orthodoxen Judentum nichts mehr zu tun und einfach nur ihre Ruhe haben will, nacheinander Besuch von Eltern resp. Schwiegereltern bekommen lässt und dabei in flotten, espritreichen Dialogen den Grundkonflikt des Romans entwickelt. Sehr verkürzt gesagt geht es um die Frage, ob ein säkularisiertes, modernes Leben in einem materialistischen Land wie den USA vorzuziehen ist oder ein Leben, das sich auf Glauben und Zionismus stützt. Geschickt nimmt dieser Familienkonflikt vorweg, was Blum dann heimsucht, bzw.: wer. Denn an der Hochschule bewirbt sich kein Geringerer als Ben-Zion Netanjahu, israelischer Historiker mit dem Spezialgebiet »Geschichte der iberischen Juden im Mittelalter«, militanter Nationalist – und Vater des derzeitigen israelischen Ministerpräsidenten. Und weil Blum der einzige Jude auf dem Campus ist, kommt ihm die undankbare Aufgabe zu, Netanjahu und dessen »Mischpoke« zu betreuen. Die fällt wie eine biblische Plage in das Blum’sche Haus ein, impertinent und anarchisch.
Das alles ist gescheit und reflektiert, es ist sehr albern, selbstironisch und bitter. Den ganz normalen alltäglichen Antisemitismus verkörpert Blums stets bestens gelaunter Dekan Dr. Morse. Zum Beispiel als Blum zu ihm gerufen wird und Schlimmes befürchtet, »Einschnitte und Kürzungen«. Der Dekan »runzelte die Stirn. ›Machen Sie sich keine Sorgen, Rube. Dazu gibt es gar keinen Grund … und außerdem haben Sie das doch schon hinter sich, oder?‹« Als der verschüchterte Blum verständnislos reagiert, sieht sich der Dekan zu einer Erklärung veranlasst: »Ich wollte das Gespräch nur durch einen Scherz über Ihre Beschneidung auflockern.« Und auch das hat natürlich System: Die schlechtesten Witze machen halt die Gojim.
Vermutlich wird sich gar nicht die Gelegenheit ergeben, dass irgendein Mensch Sie fragt, was jüdischer Humor ist. Glück gehabt. Die Gelegenheit, »Die Netanjahus« zu lesen, sollten Sie dennoch nicht versäumen.