Humorkritik | September 2023
September 2023
»Still ruhte wieder alles, und halbbewußt bat Kurtchen, es möge dabei bleiben; er hatte tatsächlich den Eindruck, er müsse beim nächsten Anfall von Humoristik sicher sterben.«
Stefan Gärtner, »Glanz und Elend des Kurtchen Sahne«

Im Dalírium
Die beiden berühmtesten Maler des 20. Jahrhunderts waren auch die begabtesten Selbstdarsteller ihrer Zeit: Sie hatten komisches Talent. Salvador Dalí war genau wie Pablo Picasso, mit dem er sich gern Schaukämpfe lieferte, ein Wunderkind. Dalí tat für Geld fast alles, Picasso nahm Geld für fast alles, was er tat. Beide waren geborene Spanier – unterscheiden konnte man sie am einfachsten dadurch, dass der eine einen Schnurrbart hatte und der andere nicht.
Nach Pablo Picassos Tod im Jahr 1973 gab es nur noch Salvador Dalí. Hier setzt der Film »Dalíland« (2022, ab September in den deutschen Kinos) ein: Dalí überwintert wie üblich in New York und bereitet eine Ausstellung vor. In den frühen 70er-Jahren schwankte er zwischen Genie und Blödsinn, die Kunstkritiker nahmen ihn schon lange nicht mehr ernst. Seine stärkste Periode hatte Dalí da lange hinter sich: Sie begann 1929 mit dem »Großen Masturbator« und endete 1944 mit einem »Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen«. Dazwischen liegen provokante Werke wie das »Bildnis Galas mit zwei Lammkoteletts im Gleichgewicht auf der Schulter«. Begründung: »Ich habe meine Frau gern und ich habe Koteletts gern und ich sehe keinen Grund, sie nicht zusammen zu malen.«
Erzählt wird der Film aus der Perspektive eines jungen Assistenten, der von seinem Galeristen den heiklen Auftrag bekommt, Dalí zum Malen anzuhalten: »Welcome to Dalíland«. Im New York der Glamrock-Jahre werden Partys gefeiert, auf denen sich Popstars, Musen und Schmarotzer auf Kosten Dalís amüsieren. Doch was damals skandalträchtig war, wirkt heute schulfunktauglich und zeugt im Verbund mit den üblichen Rückblenden auf die Anfänge des Künstlers von einer gewissen Ratlosigkeit. Zeitgeschichte, Gesellschaftspanorama, Ehedrama, Künstlerschicksal, Bildungsroman – für einen Film ist das entschieden zu viel.
Immerhin werden die komischen Momente in Dalís Auftritten nicht ganz ausgespart. Ben Kingsley spielt den Maler als alt und müde gewordenen Don Quijote im Kampf gegen die Dominanz der abstrakten Kunst und die Zumutungen des Gewerbes. Womöglich hätte dieser Erzählstrang der anrührendste werden können. Wie Dalí die bürgerliche Vorstellung vom wahnsinnigen Genie mit letzter Kraft noch bedient, um das Geld für seinen aufwendigen Lebensstil zu verdienen, davon hätte ich gern mehr gesehen. Nicht zu vergessen Dalís Erkenntnis, »dass der einzige Unterschied zwischen mir und einem Verrückten ist, dass ich nicht verrückt bin«.