Humorkritik | Januar 2023

Januar 2023

»Im besten Fall bewahrt einen irgendwann eigene Einsicht und nicht nur eine Mehrheitsentscheidung davor, bestimmte Witze rauszuhauen. Das Verb deutet es ja schon an: Die Energie dahinter ist von der Gewalt nicht frei, die sie im Humor bannen will. Es gibt gute Gründe dafür, sich Sprachen und Humor zu wünschen, die auf jede Form von Gewalt verzichten können. Vielleicht entstünden sie von allein in einer Welt, die durch die Abwesenheit von Gewalt gekennzeichnet wäre.«
Hanna Engelmeier

Rache ist bittersüß

B. J. Novak, der Dauerpraktikant Ryan aus der US-Version von »The Office« (2005–2013), hat nicht nur für jene Serie das ein oder andere Drehbuch verfasst, sondern auch 2014 mit »One More Thing« eine charmante Shortstory-Sammlung veröffentlicht, die ich hiermit nachträglich empfehlen möchte (deutsch als »Cornflakes mit Johnny Depp« im Aufbau-Imprint Blumenbar erschienen). Nun hat der 43jährige seinen ersten Spielfilm abgedreht, bei uns ist er ab 19. Januar im Kino zu sehen.

Der New Yorker Möchtegern-Journalist Ben Manalowitz erhält, während er mit einer seiner Gelegenheitsbeziehungen im Bett liegt, die telefonische Nachricht, dass eine andere seiner Gelegenheitsbeziehungen, Abby, gestorben sei. Der Bruder der Toten, Ty, bekniet Ben, der ja schließlich »die Liebe ihres Lebens« war, zur Beerdigung ins texanische Nirgendwo zu fliegen: »Have you heard of Abilene? Well, Abilene is about three hours from Dallas. And we’re five hours from Abilene.« Ben erweist seiner »Freundin« die letzte Ehre, doch damit nicht genug: Ihr Bruder ist sich sicher, dass ihre angebliche Opioid-Überdosis kein Unfall war, sondern Mord, hinter dem womöglich ein mexikanisches Drogenkartell steckt. Da man in Texas nicht einfach 911 wählt (höchstens die Feuerwehr oder einen Krankenwagen ruft man, wenn’s unbedingt sein muss), ist Rache angesagt: »Vengeance«, so der Titel der Tragikomödie. Eine solche Mission sei so gar nicht sein Stil, bekennt Ben, auch wenn Ty ihm versichert, er könne direkt einem typischen Liam-Neeson-Film entsprungen sein (»Which one am I thinking about? It was a train … It was just on TV. ›Schindler’s List‹! You look like a lot of those guys in that movie«). Ben hat einen pfiffigeren Plan: Die Umstände von Abbys Tod in Eigenregie aufklären, die Verantwortlichen überführen. Und ganz nebenbei soll ein True-Crime-Podcast entstehen, der Bens Karriere durch die Decke gehen lassen könnte (»Dead white girl. Holy grail of podcasts«).

Ein klassisches Whodunit wird »Vengeance« dann aber ebenso wenig wie ein Rachethriller. Zwar ergibt sich ein durchaus spannender Plot um Ermittlungen, die immer wieder in Sackgassen münden – nicht zuletzt weil der Tatort exakt an der Schnittstelle vierer verschiedener Jurisdiktionen liegt – , doch geht es im Kern um: Wahrheitssuche im Amerika des postfaktischen Zeitalters. Das führt zu bisweilen tiefsinnigen Dialogen, bestritten etwa von einem überraschend stark aufspielenden Ashton Kutcher, die aber nie prätentiös wirken. Zwischendurch haben mich immer wieder einzelne Zeilen zum Lachen gebracht. Der Humor speist sich oft aus dem »Großstadt-Yuppie trifft Hinterwäldler«-Szenario, wobei man von erwartbaren Culture-Clash-Klischees verschont bleibt: Weder werden die Hillbillies romantisiert noch vollkommen der Lächerlichkeit preisgegeben. Novak behandelt seine Protagonisten mit Herz und Respekt, auch seine eigene Figur, die sich peu à peu in die texanische Lebensart einfühlt, sogar zu einem Rodeo geht und Frito pie genießt.

Sie kennen Frito pie nicht? Heißes Chili wird in eine aufgeschnittene Fritos-Packung gegossen und mit den Chips direkt aus der Tüte gegabelt. (»Ugh, that is disgusting.« – »Yeah, in a good way.«) Das war nicht das Einzige, was ich durch »Vengeance« über den Süden der USA gelernt habe. Vor allem habe ich mich beim Schauen durchgehend amüsiert; daran konnte auch der ein wenig düstere Schluss nichts ändern.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Es tut uns aufrichtig leid, Alice und Ellen Kessler (die Kessler-Zwillinge),

Es tut uns aufrichtig leid, Alice und Ellen Kessler (die Kessler-Zwillinge),

dass Ihre Kindheit, wie Sie im Bunte-Interview erzählten, von der täglichen Gewalt eines trinkenden Vaters geprägt war. Ganz überraschend kommt Ihr Geständnis vom besoffenen Prügelpapa allerdings nicht. Man hätte sich schließlich denken können, dass dieser Arsch dauernd doppelt gesehen hat.

Verdient im Gegensatz zu Ihnen für diesen Gag auf jeden Fall Schläge: Titanic

 Heda, »FAZ«

»Schlechte Politik verhindert Fortschritt« – das stimmt. Aber ist das nicht haargenau die Politik, für die Du immer trommelst?

Fragt schlecht und recht Titanic

 Hello, tagesschau.de!

All Deinen Leser/innen, die von Tim Walz, der für die US-Demokraten als Vizekandidat in den Wahlkampf ziehen soll, bisher noch nicht allzu viel gehört hatten, wusstest Du doch immerhin zu berichten, er sei ein ehemaliger »Lehrer und gilt als einer, der die einfache Sprache der Menschen spricht«. Und nichts für ungut, tagesschau.de, aber dass ein Kandidat im US-Wahlkampf, ein einstiger Lehrer zudem, Englisch spricht, das haben selbst wir uns schon beinahe gedacht.

Deine einfachen Menschen von Titanic

 Hoffentlich klappt’s, Künstlerin Marina Abramović (77)!

Sie wollen gern mindestens 103 Jahre alt werden. Alt zu sein sei in der Kultur des Balkans, im Gegensatz zu der Nordamerikas, etwas Großartiges. Sie seien »neugierig wie eine Fünfjährige« und wollen noch schwarze Löcher und Außerirdische sehen.

Wir wollen auch, dass Sie Außerirdische sehen bzw. dass die Außerirdischen Sie sehen, Abramović. Wenn Sie die Extraterrestrischen, die, wie wir aus diversen Blockbuster-Filmen wissen, nichts Gutes im Schilde führen, mit einer Ihrer verstörenden Performances voll Nacktheit, Grenzüberschreitung und Selbstgefährdung begrüßen, wenden sie sich vielleicht doch von uns ab.

Kommt stets in Frieden: Titanic

 Kann es sein, Tod,

dass Du, so wie alle anderen in der Handwerksbranche auch, mit Nachwuchsmangel zu kämpfen hast? Und dass Du deshalb Auszubildende akzeptieren musst, die schon bei den Basiskompetenzen wie Lesen Defizite aufweisen?

Oder hast Du, der Seniorchef höchstpersönlich und wieder zu eitel, eine Brille aufzusetzen, am 11. August beim gerade mal 74 Jahre alten Kabarettisten Richard Rogler angeklopft? Nur, um dann einen Tag später, nachdem Dir der Fehler aufgefallen war, beim 91jährigen Bauunternehmer und Opernballbesucher Richard Lugner vorbeizuschauen?

Antwort bitte ausschließlich schriftlich oder fernmündlich an Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Unwirtliche Orte …

… sind die ohne Kneipe.

Günter Flott

 Schierlingsbücher

Kaum jemand erinnert sich an das allererste selbstgelesene Buch. War es »Wo die wilden Kerle wohnen« oder doch Grimms Märchen? Schade, denke ich mir. Es könnte eine Wegmarke in die wunderbare Welt der Bibliophilie sein. In meiner Erinnerung wabert stattdessen leider nur ein unförmiger Brei aus Pixibüchern. Diesen Fehler möchte ich am Ende meines Leselebens nicht noch einmal machen. Und habe mir das Buch »Essbare Wildpflanzen« bestellt.

Teresa Habild

 Meine Mitbewohnerin

legt Dinge, die nicht mehr so ganz intakt sind, in Essig ein. Dabei ist es egal, ob es sich um verkalkte, schmutzige oder verschimmelte Dinge handelt. Ich würde bei ihr den Verbrauch von Salzsäure in den kommenden Jahren intensiv beobachten – gerade falls ihr Partner unerwarteterweise verschwinden sollte.

Fia Meissner

 Aus einer Todesanzeige

»Wer sie kannte, weiß was wir verloren haben.« Die Kommasetzung bei Relativsätzen.

Frank Jakubzik

 Verdrehte Welt

Vermehrt las ich in letzter Zeit, bei Männern werde die Kombination aus langen Haaren und Dreitagebart als besonders attraktiv wahrgenommen. Da bin ich kurz davor wohl doch wieder falsch abgebogen. Dafür bin ich jetzt stolzer Träger eines langen Bartes und Dreitagehaars.

Dennis Boysen

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

Titanic unterwegs
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer
17.09.2024 Stadthagen, Wilhelm-Busch-Gymnasium Wilhelm-Busch-Preis Hilke Raddatz mit Bernd Eilert