Humorkritik | Januar 2023
Januar 2023
»Im besten Fall bewahrt einen irgendwann eigene Einsicht und nicht nur eine Mehrheitsentscheidung davor, bestimmte Witze rauszuhauen. Das Verb deutet es ja schon an: Die Energie dahinter ist von der Gewalt nicht frei, die sie im Humor bannen will. Es gibt gute Gründe dafür, sich Sprachen und Humor zu wünschen, die auf jede Form von Gewalt verzichten können. Vielleicht entstünden sie von allein in einer Welt, die durch die Abwesenheit von Gewalt gekennzeichnet wäre.«
Hanna Engelmeier
Sieben sibirische Witze
Etwas ratlos ließ mich der Film »Sibirisch für Anfänger« zurück, der derzeit in den deutschsprachigen Kinos zu sehen ist. Denn einerseits haben mir die lose miteinander verknüpften Anekdoten aus einem sibirischen Dorf, die wechselnden, auf ihre Art durchaus komischen Figuren und die Freude, die die Regisseure Stepan Burnashev und Dmitrii Davydov an Eskalationen haben, gut gefallen; andererseits sind die Pointen, die den Episoden am Ende jeweils einen besonderen Dreh geben sollen, in einigen Fällen allzu abgeschmackt und vorhersehbar.
Insgesamt besteht der Film aus sieben Geschichten, die in einem fiktiven Dorf in der sibirischen Einöde spielen. Zwischen dessen Bewohnern kommt es regelmäßig zu Reibereien, etwa wenn ein neues Plumpsklo angelegt werden muss und dieses direkt an der Grundstücksgrenze ausgehoben wird, zum Ärger der Nachbarn. Oder wenn in der vielleicht schönsten und komischsten Episode der kriminelle Bruder, der seine Familie mit einem Gewehr bedroht, nicht nur beruhigt und umschmeichelt, sondern auch derart mit Schnaps abgefüllt wird, dass er seine Waffe nicht mehr halten und sie ihm schließlich entwunden werden kann. »Sibirisch für Anfänger« hat Fallhöhe, weil es seine teils gewalttätigen Protagonisten, fast ausschließlich Männer übrigens, sowie ihre Beziehungen und Abgründe in wenigen Einstellungen präzise porträtiert und keinen Zweifel daran lässt, dass es sich im Grunde um tragische Figuren handelt; gleichzeitig suchen und finden Burnashev und Davydov in all dem das Komische. Womit wir zum Wermuts- bzw. Wodkatropfen kommen: den schalen Pointen. So beispielsweise am Ende der Geschichte eines jungen Mannes, der das Haus seiner Großmutter verkauft, das Bargeld, das er bekommt, aber völlig betrunken wieder verliert und sich danach mit dem Spott, dem Mitleid und der Verachtung des Dorfes und sogar seiner eigenen Freundin herumschlägt. Voller Wut prügelt er den als Dieb verdächtigten Nachbarn halb tot, ehe sich herausstellt, dass das Geld beim nächtlichen Hereintorkeln einfach hinter das Regal gefallen ist.
Das alles ist ein wenig so, als bekäme man von einem begabten Erzähler sieben schön böse, aber nicht allzu gute Witze erzählt. Ach, aber lassen Sie sich die ruhig selbst erzählen.