Humorkritik | Januar 2023
Januar 2023
»Im besten Fall bewahrt einen irgendwann eigene Einsicht und nicht nur eine Mehrheitsentscheidung davor, bestimmte Witze rauszuhauen. Das Verb deutet es ja schon an: Die Energie dahinter ist von der Gewalt nicht frei, die sie im Humor bannen will. Es gibt gute Gründe dafür, sich Sprachen und Humor zu wünschen, die auf jede Form von Gewalt verzichten können. Vielleicht entstünden sie von allein in einer Welt, die durch die Abwesenheit von Gewalt gekennzeichnet wäre.«
Hanna Engelmeier
Beware of the Bigger Witch!
Twitter findet in den letzten Monaten viel mediale Aufmerksamkeit, auch wegen Musks wirren Umgangs mit Parodien. Doch an dieser Stelle soll es um eine andere Form der Komik gehen, die mir letztens auf der Plattform begegnet ist und die zumindest mir neu war. Es handelt sich um Geschichten, die lediglich durch Screenshots erzählt werden. Diese zeigen das vermeintliche Geschehen auf Seiten wie Twitter, Reddit oder Youtube und werden von einer Person verfasst, die sich Dustin Couch nennt und ein gutes Gespür für die richtige Kombination aus Horror und Witz hat. Denn gruselig sind alle von Couchs Texten: Menschen verschwinden, sterben auf mysteriöse Weise oder werden von unerklärlichen Gestalten verfolgt. In einer der Geschichten entsteht auf Twitter als Marketing-Gag zu Halloween der Account »The Big Witch«, der immer wieder die Posts anderer User kommentiert, worauf diese genervt reagieren. Nach und nach werden alle Accounts von der Hexe eingenommen, die dazugehörigen User sind wie vom Erdboden verschluckt, und Twitter fällt, als es versucht, die Hexe abzuschalten, der »Bigger Witch« zum Opfer.
Komisch sind die Geschichten nicht nur, weil Couch den Ton des jeweiligen sozialen Mediums so treffend imitiert, sondern auch, weil die Geschichten bevölkert sind von seltsamen und rätselhaften Gestalten. Neben »The Big Witch« sind das beispielsweise »The Long Doctor«, »The Lengthy Surgeon« oder der berüchtigte »Tallest Dentist«, dessen Existenz man am besten leugnet, will man vor ihm sicher sein. Über diese Figuren muss ich schon deshalb lachen, weil alles an ihnen ungeklärt bleibt: ihr Motiv, ihr Aussehen, das genaue Schicksal ihrer Opfer. Außerdem ist die Diskrepanz zwischen den unheimlichen Vorgängen und den lakonischen Antworten der User lustig, die beispielsweise mit GIFs reagieren, wenn wieder ein Hotelgast von »Crawlin Rebecca« gejagt wird, weil er sich entgegen aller Warnungen ins Wi-Fi eingeloggt hat. In den Screenshots haben Grusel und Komik also einen ähnlichen Ursprung: Beide entstehen durch die Kombination von Alltäglichem und Mysteriösem.
Also, lesen Sie die Werke Dustin Couchs! Zumindest, wenn Ihnen ein geruhsamer Schlaf nicht so wichtig ist.