Humorkritik | Dezember 2023

Dezember 2023

»Es gibt genug Scherereien im Leben; warum es nicht einmal auf die heitere Weise versuchen?«
Auguste Renoir

Über mit Herrn Becker

Man hat’s, wir Älteren wissen es, nicht leicht, aber leicht hat es einen, und sehr von ungefähr stieß ich im sog. Netz auf einen Heinz-Becker-Clip, der, wie eine schnelle Recherche ergab, aus dem 20 Jahre alten Programm »Wiederspruch« (sic) stammt und in dem der saarländische Paradekleinbürger davon berichtet, wie die studierte Tochter eines Freundes daheim »einen Neecher« anschleppt und wie fassungslos alle sind und dass es die Frau des Freundes »sofort überall gejuckt« habe usw. Gerd Dudenhöffer, der den Heinz spielt, hat einmal gesagt, wenn er die Becker’sche Kapp’ aufsetze, sei er seine Kunstfigur, und ich bin der erste, der die Rollenrede und ihre Möglichkeiten verteidigt, wie seit je der Clou am Becker-Heinz ist, dass nie klar ist, ob man über ihn oder mit ihm lacht.

Und trotzdem – oder deshalb? – war mir nicht wohl dabei, was damit zusammenhängt, dass der Saal natürlich weiß war und die Figur ihr Ressentiment über 6 Minuten 30 voll ausspielte. Theoretisch könnte Dudenhöffer einen ganzen Abend damit verbringen, das N-Wort zu sagen, er steckt ja in seiner Figur; praktisch ist es so, dass ein Blondinenwitz vielleicht Ironie ist, zehn sind misogyn: Ist ein Witz verstanden, wird er in der Wiederholung (die freilich selbst ein Witz sein kann) nicht bloß fad, sondern eigentlich. Dass Dudenhöffer ein Rassist ist, schließe ich aus, und 2003 war ja noch Spaßgesellschaft, nicht Achtsamkeit. Für möglich halte ich aber, dass die Spekulation auf sichere Lacher sich hier mit Satire verwechselte und ein Publikum, das von Wolfgang Pohrt noch nie gehört hat, dessen Definition von Kabarett validierte: »die eigene Meinung in der durch den Apparat autorisierten Version«.

Ganz so streng wird das für die Herrenwitze nicht gelten, denen ich, ebenso durch Zufall, im 2023er Programm »Déjà-Vu 2« begegnete und die Dudenhöffer, wie um es mir recht zu machen, in der Rolle des alten Ehehasen allerdings streute. Mindestens diesseits vom Stammtisch ist der Herrenwitz Genre und hebt den Regelverstoß im Zitat auf; lustig ist er dabei so lange, wie die Grobheit des Verstoßes die ironische Rezeption nicht verunmöglicht. Das wird im Auge der Betrachtung liegen; als alter Herr musste ich, auf Ehre!, nicht über die Pointe als solche lachen, sondern über ihre Absehbar- und Pantoffeligkeit, als Becker referiert, sein Nachbar sei früh um halb vier nach Hause gestolpert und dessen Frau habe gefragt, wo er gewesen sei. Sagt er, er habe erst sein Haus nicht finden können und sei darum in die Kneipe zurückgekehrt, wo er entschieden habe, sein Haus müsse das sein, in dem die schönste Frau wohnt. »Saats Hilde, tätst du das auch mache? Han ich gesaat, ich kann doch net morjens um halb vier bei de Leut klingele!«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
11.05.2024 Karlsruhe, Kabarett in der Orgelfabrik Thomas Gsella
12.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »Ach was – Loriot zum Hundertsten«
12.05.2024 Kleinschönach/Bodensee, Kunsthalle Thomas Gsella
14.05.2024 Frankfurt, Goethe-Universität Martin Sonneborn