Humorkritik | Dezember 2023

Dezember 2023

»Es gibt genug Scherereien im Leben; warum es nicht einmal auf die heitere Weise versuchen?«
Auguste Renoir

Kreisch!

Gerate ich mit Kunstwerken in Berührung, die »zum Brüllen« oder »zum Schreien« komisch sein sollen, werde ich immer ernst und still und nachdenklich. Unlängst las ich in einer in Berlin angesiedelten tageszeitung, bei Nele Pollatscheks neuem Roman »Kleine Probleme« (Galiani) handele es sich nicht nur um eine »humorige, selbstironische (Nicht-)Ich-Erzählung«, das Buch enthalte sogar »kreischend komische« Episoden. Ich habe den Roman und seine Episoden gelesen, in denen die Komik nicht nur kreischend, sondern sogar tödlich daherkommt: »Lina hat sich totgelacht, also nicht wirklich tot, Lina lebt natürlich.« Das erscheint mir ebenfalls zum Totlachen – also nicht wirklich zum Lachen, aber tot kommt es mir vor. Und wenn der (Nicht-)Ich-Erzähler (nicht-)erzählt: »Weiter so, dachte ich, und merkte schon, wie ich so Gordon-Ramsay-mäßig rumtänzelte, wie ein Boxer, der auf dem Weg zum Klo in eine Wespe getreten ist«, dann ist mir klar, dass auch das als originell und also lustig kalkuliert wurde; aber was soll es bedeuten? Wieso ein Boxer? Wo doch Gordon Ramsay, wie ich mir habe sagen lassen, ein Koch ist? Und dann noch auf dem Weg zum Klo? Fühlt sich das In(!)-eine-Wespe-Treten da anders an als auf dem Weg in, beispielsweise, die Abstellkammer? Und warum ist der Boxer barfuß?

Apropos Kleidung: Der Erzähler des Romans ist einer, der nichts tut, alles aufschiebt, ein Prokrastinierer (das prima Modewort der 00er-Jahre kommt in jeder zweiten der durchweg sehr positiv gestimmten Rezensionen vor). So malt er sich aus, wie es wäre, seine Steuererklärung zu machen: »Eine Steuererklärung ist wie eine Schachtel Pralinen, nur ohne Schokolade. Man greift in die Belege und weiß selbst nicht, was man bekommt.« Dennoch gilt: »So eine Steuererklärung kann ja auch sehr meditativ sein. Wenn die Wohnung geputzt ist und der Körper geduscht. Wenn man sich etwas Ordentliches angezogen hat, den Hochzeitsanzug, das gute Hemd, die Krawatte mit den versteckten Disneymäusen«. Disneymäuse zur Steuererklärung! Kreisch. Aber warum versteckt? Auf der Krawattenrückseite etwa?

»Zumindest sollte die Geschichte hier enden, zumindest möchte ich, dass sie genau hier endet, ich habe nämlich keine Lust mehr« (Seite 112). Es endet dann aber natürlich trotzdem nicht, sondern es geht noch weiter, bis zur letzten Seite, Seite 197: selbstironisch, humorig und unerbittlich. Nur hier nicht, hier geht es jetzt nicht weiter, ich habe nämlich auch keine Lust mehr. Bloß, dass ich dann auch die fälligen Konsequenzen ziehe.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Wir wollten, »SZ«,

nur mal schnell Deine Frage »Gedenkbäume absägen. Hinweistafeln mit Hakenkreuzen beschmieren. Wer macht sowas?« beantworten: Nazis.

Für mehr investigative Recherchen wende Dich immer gerne an Titanic

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
11.05.2024 Karlsruhe, Kabarett in der Orgelfabrik Thomas Gsella
12.05.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst »Ach was – Loriot zum Hundertsten«
12.05.2024 Kleinschönach/Bodensee, Kunsthalle Thomas Gsella
14.05.2024 Frankfurt, Goethe-Universität Martin Sonneborn