Humorkritik | September 2022

September 2022

»Das betont Eindringliche der Satire ist unnötig. Es genügt durchaus, die Dinge so darzustellen, wie sind sind. Sie sind an sich schon lächerlich genug.«
Jules Renard

Küchenkino

»Küchenbrigade« nennt man insbesondere in Frankreich die Mitarbeiter einer Großküche, die – anders geht es vermutlich nicht – quasimilitärisch organisiert sind. Im Zentrum der neuen Sozialkomödie »Die Küchenbrigade« von Regisseur Louis-Julien Petit (»Der Glanz der Unsichtbaren«) steht die Enddreißigerin Cathy, die zwar eine führende Position in einem Sterne-Restaurant innehat, den Anordnungen der ungeliebten Chefin aber einmal zu oft nicht folgt, sich kurz darauf einen neuen Job suchen muss und sich schließlich als Kantinenköchin in einem Heim für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge wiederfindet. Doch Cathy gewinnt schnell das Vertrauen der Jugendlichen, und so wird die Heimkantine bald zum Gourmetrestaurant (mit den Jungs als Küchenbrigade).

Obwohl er einige typische Schwächen von Feelgood-Komödien aufweist, hat mir der Film gefallen. Das liegt u.a. daran, dass Petit keinen Zweifel lässt, dass es sich bei den Schicksalen junger Flüchtlinge um eine ernste und oft traurige Angelegenheit handelt, und daran, dass Cathy als Vertreterin eines modernen Arbeitermilieus alles andere als glücklich ist und mit den Flüchtlingen Klassengenossen kennenlernt, also Fragen von Klassensolidarität eine Rolle spielen. Sowie daran, dass der Film seine Jugendlichen gegen das Klischee vom traumatisierten, kriminellen oder kulturell überforderten Fremdling bürstet und sie stattdessen als gewitzte und kluge Hilfsköche präsentiert, was regelmäßig lustige Situationen ergibt. Etwa dann, wenn Cathy, die sich in der Küche konsequent »Chefin« nennen lässt, die Flüchtlinge, nachdem sie deren Tischdeckkünste begutachtet hat, fragt, ob sie das denn noch nie gemacht hätten, worauf einer der Untergebenen strahlend die Hacken zusammenschlägt und ihr ein überzeugendes und wahrheitsgemäßes »Nein, Chefin!« entgegenschleudert. Die Migrantenjungen, das ist schnell klar, haben ihre helle Freude daran, Cathy ihren Wunsch, einmal eine Küche zu leiten, durch besonders entschiedene und schneidige »Jawoll, Chefin«-Rufe zu erfüllen. Darüber hinaus gefiel mir das Spiel der Hauptdarstellerin Audrey Lamy sehr; ihre Miene kippt zuweilen in Millisekunden von Glückseligkeit in schlimme Depression und dann wieder in die Gegenrichtung. Schauen Sie sich das aber gerne selbst an, »Die Küchenbrigade« startet am 15. September in den deutschen Kinos.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Aha bzw. aua, Voltaren!

Das wussten wir gar nicht, was da in Deiner Anzeige steht: »Ein Lächeln ist oft eine Maske, die 1 von 3 Personen aufsetzt, um Schmerzen zu verbergen. Lass uns helfen. Voltaren.«

Mal von der Frage abgesehen, wie Du auf die 1 von 3 Personen kommst, ist es natürlich toll, dass Du offenbar eine Salbe entwickelt hast, die das Lächeln verschwinden lässt und den Schmerz zum Vorschein bringt!

Gratuliert salbungsvoll: Titanic

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Immerhin

Für mich das einzig Tröstliche an komplexen und schwer zugänglichen Themen wie etwa Quantenmechanik, Theodizee oder den Hilbertschen Problemen: Letztlich ist das alles keine Raketenwissenschaft.

Michael Ziegelwagner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 In Würde altern

Früher hätte mich der riesige Pickel mitten auf meinem Hals stark gestört. Heute trage ich den wohl niedlichsten ausgeprägten Adamsapfel, den die Welt je gesehen hat, mit großem Stolz ein paar Tage vor mir her.

Ronnie Zumbühl

 Finanz-Blues

Wenn ich bei meiner langjährigen Hausbank anrufe, meldet sich immer und ausnahmslos eine Raiffeisenstimme.

Theobald Fuchs

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.05.2024 Bonn, Rheinbühne Thomas Gsella
05.05.2024 Magdeburg, Factory Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner