Humorkritik | März 2022

März 2022

»Nie zu lachen ist für mich körperlich extrem anstrengend.«
Hazel Brugger

Doppelt und elffach

Ein »Universum voll absurder Komik«, urteilte Der Standard jüngst, die deutsche Presse nannte Hervé Le Telliers preisbehängten Roman »Die Anomalie« (Rowohlt) ein »herrliches Gedankenspiel«, im Deutschlandfunk sah man darin gar einen »Ausnahme-Roman, ein intellektuelles Feuerwerk: voller Überraschungen, voller provozierender, kluger Sätze – und mit einem knallharten, verstörenden Finale.« Ein Satz mit zumindest verstörend gewagten Behauptungen. Der Plot – ein Flugzeug landet ein zweites Mal, an Bord die Doppelgänger des ersten Fluges – mag ungewöhnlich klingen; die eigentliche Kunst bei diesem Roman dürfte aber die Zusammenarbeit von Betrieb und Vermarktung gewesen sein. Denn überraschend ist daran nun wirklich nichts: Wofür Le Tellier über 300 Seiten benötigt, das hat man sich so oder so ähnlich nach dem Lesen des Klappentexts längst zusammengesponnen, mehr kommt bis zum Schluss nicht dazu. Elf Charakterstümpfe lernt man kennen, von denen die jeweils einfache Ausführung völlig ausgereicht hätte, aber der Handlung wegen müssen nun mal nicht wenige von ihnen noch ihrem Doppelgänger gegenübergestellt werden. Als da wären u.a. ein nigerianischer Rapper, ein Auftragsmörder, ein Architekt und als postmoderner Kniff ein Romanautor, der gerade ein Buch namens – na? – »Die Anomalie« geschrieben hat.

Nach der Entdeckung der doppelten Maschine sitzt der US-Präsident – deutlich als Trumpdoppelgänger zu erkennen, weswegen es Le Tellier wohl genügte, ihn als eitle Pappfigur darzustellen – mit Wissenschaftlern und Vertretern der Weltreligionen zusammen. Die kommen sich bei der Auslegung ihrer Schriften und der Deutung der Geschehnisse in die Quere, dass es harm- und belangloser nicht sein könnte. Als Erklärung von wissenschaftlicher Seite muss eine Art Simulationstheorie herhalten, und also wird das fadeste aller »Gedankenspiele« hier noch einmal serviert, als seien die letzten Jahrzehnte der Populärkultur in einem schwarzen Loch verschwunden: »Leben wir in einer Zeit, die nur eine Illusion ist«, fragt die Mathematikerin Meredith sich und ihren Kollegen Adrian nach 200 stilistisch wie inhaltlich schmucklosen Seiten, »wo jedes augenscheinliche Jahrhundert nur ein Sekundenbruchteil in den Prozessoren eines gigantischen Computers ist? Was ist dann also der Tod, wenn nicht ein ›end‹ in der Code-Zeile? Existieren Hitler und die Shoa nur in unserer Simulation oder auch in ein paar anderen, wurden sechs Millionen Judenprogramme von Naziprogrammen ermordet? Ist eine Vergewaltigung ein männliches Programm, das ein weibliches Programm vergewaltigt?« Man kann das Spiel ewig so weitertreiben, wenn man nur abgeschmackt genug ist, und so geschieht es dann auch; sechs Seiten dauert allein dieser Monolog aus astreinem Gedankenschrott, ehe Mathematikerin Meredith – immer noch kein Witz – »I can’t be no simulation« nach der Melodie der Stones anstimmt und zu tanzen beginnt. »Es ist irre«, denkt sich Adrian darauf, »irre, wie sehr ich dieses Mädchen liebe.« Irre, allerdings.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ganz schön kontrovers, James Smith,

was Du als Mitglied der britischen Band Yard Act da im Interview mit laut.de vom Stapel gelassen hast. Das zu Werbezwecken geteilte Zitat »Ich feiere nicht jedes Cure-Album« hat uns jedenfalls so aufgewühlt, dass wir gar nicht erst weitergelesen haben.

Wir mögen uns nicht ausmalen, zu was für heftigen Aussagen Du Dich noch hast hinreißen lassen!

Findet, dass Provokation auch ihre Grenzen haben muss: Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Im Institut für Virologie

Jeder Gang macht krank.

Daniel Sibbe

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella