Humorkritik | März 2022
März 2022
»Nie zu lachen ist für mich körperlich extrem anstrengend.«
Hazel Brugger
Eines dicken Hamsters
Was man da im ersten Kapitel schon alles aushalten muss: ein Schneckenhaus in der Hand einer von der Brücke springenden Teenagerin, das dreimal erwähnt wird, weil es sonst der Aufmerksamkeit des Publikums entglitschen könnte; Sätze, die schnoddrig klingen sollen, aber nichts sind als die blanke Schablone (» …erschien Juli ihr Vorhaben längst nicht mehr so mutig und entschieden wie noch in der Nacht, den vielen, vielen Nächten davor. Die Realität war immer echt gut darin, die Stimmung zu versauen«), und mehr Fragen, als gut sind – z.B. die, ob es möglich ist, während eines Nieselregens auf einer Autobahnbrücke die Gesichter der Autofahrer zu erkennen: »Unter ihr spiegelten sich die Scheinwerferlichter der Autos auf der nassen Fahrbahn. Keiner schaute hoch zu ihr.«
Dass es sich bei Ronja von Rönnes Suizid-Doppelroman »Ende in Sicht« (dtv) um einen ziemlichen Murks handelt, musste den diensthabenden Medien erwartungsgemäß entgehen: »feinfühlig und weise« (Spiegel), »mutig« (FAZ), »kurzweilig (SZ) – und, womit wir in mein Gebiet wechseln, »amüsant« (NRD-Kultur), »humorvoll« (»Titel, Thesen, Temperamente«), »pointengesättigt« (Deutschlandfunk). Hätten sie recht, wäre es also Murks mit Pointe, und den gibt es aber nicht: »Kein Wunder, dachte sie wütend, während sie auf dem regennassen Display verzweifelt den eventuellen Todestag ihres Haustieres, ein dicker Hamster, dessen Namen sie längst vergessen hatte, als PIN ausprobierte.« Wo NDR und SZ mutmaßlich hell aufgackern, frage ich mich: Kann man wütend denken und gleichzeitig verzweifelt etwas ausprobieren? Wieso der »eventuelle« Todestag? Und hätte korrekte Grammatik den Satz wenn schon nicht komisch, so doch immerhin erträglich gemacht?
Und muss ich, im 43. Bestehensjahr dieser Zeitschrift, immer noch darauf hinweisen, dass komische Kunst der Form bedarf und in schlechten Sätzen keine guten Pointen wohnen? Was amüsiert sie an dieser Mixtur aus Sinnsprüchen (»Nicht wissen, was als nächstes kommt, Quintessenz des Menschseins«), miserabler Figurenzeichnung (eine 69jährige, die zwar mit Drucker und Klapphandy ihre Probleme hat, aber ihr Leben »wie ein zusammengematschtes Timelapse-Video« empfindet), Phrasen (»Es war ein Klischee, das bei ihr sofort alle Alarmglocken schrillen ließ«) und ständigem auktorialen Dazwischengequatsche, das keine Bayernfahrt zulässt ohne einen Exkurs über Katholizismus und Bierfeste, keine Erwähnung der Bahn ohne fresh-freche Bahnglosse: »Hella war nie gern Bahn gefahren. … Unbehagen … Vielzahl fremder Menschen … ungepflegte Bordtoilette … aufgewärmte Fertigkost … Gourmetklasse von osteuropäischen Pommesbuden und Flugzeugnahrung …« –?
Und hier liegt natürlich die Antwort: R.v. R., »diese rauchende junge Frau in ihrem konservativ anmutenden Kleid mit dem weißen Kragen und dem messy Dutt« (Zeit), klingt so, wie Funk und Print und Netz klingen. Weshalb es bei »Ende in Sicht« weniger um Komik geht als um Einverständnis: »Mittlerweile kümmerte sich die Agentur lieber um vierzehnjährige Influencerinnen, die ihren Goji-Beeren-Porridge in ihre Handykamera hielten und viel lachten.« So viel wie die Durchblicker von Spiegel bis Deutschlandfunk, wenn sie Signalwörter mit Pointen verwechseln. Ich, ein einfacher Arbeiter im Lachberg des Herrn, gönne ihnen ihr Vergnügen. Meines ist es nicht.