Humorkritik | Mai 2021
Mai 2021
Doch innerlich lachte das Herz mir!
Marc Aurel
Zauberhaftes Florida
Jammernde Helden sind nicht selten in der Weltliteratur. Doch kaum einer war je so jämmerlich wie Charlie »Being John Malkovitch« Kaufmans Ich-Erzähler B. Rosenberg – weiß, über 50, männlich, heterosexuell, ein fusselbärtiger Glatzkopf und nicht mal jüdischer Herkunft. Kein Wunder, dass er unentwegt seine Sympathien für Schwarze, Junge, Frauen, Juden und sexuell anders orientierte Menschen beteuert. Regelrecht ins Prahlen gerät er, wenn es um seine »afroamerikanische Geliebte« geht.
Rosenberg ist Cineast, Professor an einer obskuren Fakultät, der sich in langen Essays mit schwarzen Filmpionieren und semantischen Sonderfällen beschäftigt. Für Recherchen zu einer Monographie über »Gender und Transformation« in dem fast vergessenen Stummfilm »A Florida Enchantment« ist er nach Florida gefahren, genauer gesagt nach St. Augustine. Diese Stadt gilt als die älteste Floridas, wenn nicht der USA, und Kaufman hat ihr neben der tatsächlich vorhandenen Schule für Hör- und Sehbehinderte noch ein Filmmuseum angedichtet, dessen Architektur außen wie innen dem Kopf des Kiemenwesens nachempfunden ist, das hier als »Creature from the Black Lagoon« Mitte der Fünfziger Jahre als eines der ersten 3D-Monster der Filmgeschichte auftauchte. Soviel zum Anspielungsreichtum des Romans, der übrigens »Ameisig« heißt und auf Deutsch bei Hanser erschienen ist.
Der Stummfilm »A Florida Enchantment« ist allerdings keine Erfindung. Nein, die Komödie aus dem Jahr 1914, die von Geschlechtsumwandlungen erzählt, gibt es wirklich. Der Einstieg ist fulminant: Reiche Erbin aus New York will Badearzt aus St. Augustine heiraten, ein Missverständnis bringt sie dazu, einen der Wundersamen zu essen, die ein Vorfahr aus Afrika mitgebracht hat. Die Wirkung setzt sofort ein, und das männliche Gebaren der jungen Dame sorgt für Verwirrung und Andeutungen gleichgeschlechtlicher Zärtlichkeiten. Die Bezeichnung »first lesbian movie ever« verdient der Film allerdings nicht, denn der ersten Geschlechtsumwandlung folgt eine zweite: Nach einer Stunde hat das Paar nicht nur das Geschlecht, sondern auch die Kleider getauscht. Doch kaum sind Charleys Tante und Gustav Adolfs Page etabliert, ist der Film schon aus. Er endet leider mit dem billigsten Happy End der Welt: Es war alles nur ein Traum.
Für eine Stummfilmkomödie ohne ausgewiesene Komiker wirkt der floridianische Zauber recht unterhaltsam – durch die überwoken Augen Rosenbergs gesehen, ist er natürlich ein Skandal, enthält er doch neben kaum kaschierter Homophobie vor allem schamloses Blackfacing, denn die derbere Variante der verdrehten Romanze spielt sich traditionsgemäß auf Dienstbotenniveau ab.
Für Cineasten sind beide zu empfehlen: Kaufmans »Ameisig« ebenso wie »A Florida Enchantment«.