Humorkritik | Mai 2021

Mai 2021

Doch innerlich lachte das Herz mir!
Marc Aurel

Unablässig blauer Himmel

»All The Pretty Little Horses«, der zweite Film des griechischen Regisseurs Michalis Konstantatos, erscheint dieser Tage und wird als »böse« bzw. »tiefschwarze« Satire angekündigt, womit er in mein Ressort fällt.

Aliki und Petros, verheiratet, müssen samt ihrem kleinen Sohn Athen verlassen, da beide ihre gut bezahlten Berufe – er irgendwas mit Finanzen, sie Anästhesistin – verloren haben und nunmehr Unterschicht-Jobs annehmen müssen: sie Heimpflegekraft, er Hausmeister für Anna, eine reiche Dame mit Villa, Pool und englischem Rasen. Die Familie zieht zunächst in eine kleine Wohnung in einer Mietskaserne, okkupiert aber bald das luxuriöse Haus von Petros’ Arbeitgeberin, da diese praktisch nie zugegen ist. Der Film lotet dann in rund 100 Minuten das immer liebloser und aggressiver werdende Verhältnis des Ehepaares aus und den Einfluss der äußeren Umstände auf ihre Beziehung: Der unablässig blaue Himmel, die Sonne, der Pool, die luxuriöse Urlaubsatmosphäre Griechenlands sind die Kulisse für totale menschliche Tristesse, Aussichtslosigkeit, Scham, Verzweiflung, Resignation.

Besonders gefallen hat mir Konstantatos’ dramaturgische Masche, Bedeutung, Drama, Horror anzutäuschen, die Sache dann aber im Nichts enden zu lassen. Mal ahnt man, das Kind wolle allein in den Pool springen, mal bahnt sich ein Näherkommen von Petros und Anna an, Nebenfiguren werden bedeutungsschwer eingeführt, aber alles, was irgendwie eine wenn auch tragische Wende in das Leben der Neureichen bringen könnte, verpufft, und das ist zuweilen durchaus komisch. Denn diese dramaturgischen Täuschungen spiegeln den Schlamassel der Bewohner von Konstantatos’ Welt: Wie der Film suchen sie nach Bedeutung und Sinn, wie in jenem kommt dabei aber kaum mehr als Selbstbetrug heraus. Nichts ist von Belang oder hat irgendeine Konsequenz, selbst die illegale Hausbesetzung nicht, und man kann das durchaus als verschrobene und spöttische Allegorie auf das Monadendasein der Insassen bürgerlicher Gesellschaften lesen, also: satirisch.

Allerdings haben solcherlei Drehbuchvolten – oder eher Nichtvolten – ihre Kehrseite. Obwohl es ja durchaus eine interessante Idee ist, einen Film gewissermaßen nicht über den ersten Akt hinauskommen zu lassen, und auch wenn der Regisseur zu Recht und hübsch grimmig darauf besteht, dass innerhalb der waltenden dauerkrisenhaften spätkapitalistischen Verhältnisse keine Perspektive, keine positive Lösung zu erwarten ist, sondern nur die Verhärtung von Seelen und Beziehungen, blieben mir die Figuren doch – und deswegen? – arg fremd und fern. Vor allem ihre Humorlosigkeit: Wo »Parasite«, der thematisch Ähnliches verhandelte, es grandios schaffte, seine Figuren ernst zu nehmen, um sich zugleich über sie lustig zu machen, und komische Situationen und Konstellationen produzierte, ohne den bitteren Blick auf die kapitalistischen Klassenverhältnisse zu vernachlässigen, verbeißt sich »All The Pretty Little Horses« zu sehr in die scheiternde Beziehung seiner Protagonisten. So würde ich den Film weniger als »böse«, sondern eher als etwas zu ernst geratene, ja geradezu verbiesterte Satire bezeichnen wollen. Aber schauen Sie sich das gerne selbst an.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 So ist es, Franz Müntefering!

So ist es, Franz Müntefering!

Sie sind nun auch schon 84 Jahre alt und sagten zum Deutschlandfunk, Ältere wie Sie hätten noch erlebt, wozu übertriebener Nationalismus führe. Nämlich zu Bomben, Toten und Hunger. Ganz anders natürlich als nicht übertriebener Nationalismus! Der führt bekanntlich lediglich zur Einhaltung des Zweiprozentziels, zu geschlossenen Grenzen und Hunger. Ein wichtiger Unterschied!

Findet

Ihre Titanic

 Cafe Extrablatt (Bockenheimer Warte, Frankfurt)!

»… von früh bis Bier!« bewirbst Du auf zwei großflächigen Fassadentafeln einen Besuch in Deinen nahe unserer Redaktion gelegenen Gasträumlichkeiten. Geöffnet hast Du unter der Woche zwischen 8:00 und 0:00 bzw. 01:00 (freitags) Uhr. Bier allerdings wird – so interpretieren wir Deinen Slogan – bei Dir erst spät, äh, was denn überhaupt: angeboten, ausgeschenkt? Und was verstehst Du eigentlich unter spät? Spät in der Nacht, spät am Abend, am Spätnachmittag oder spätmorgens? Müssen wir bei Dir in der Früh (zur Frühschicht, am frühen Mittag, vor vier?) gar auf ein Bier verzichten?

Jetzt können wir in der Redaktion von früh bis Bier an nichts anderes mehr denken. Aber zum Glück gibt es ja die Flaschenpost!

Prost! Titanic

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 Mahlzeit, Erling Haaland!

Mahlzeit, Erling Haaland!

Zur Fußballeuropameisterschaft der Herren machte erneut die Schlagzeile die Runde, dass Sie Ihren sportlichen Erfolg Ihrer Ernährung verdankten, die vor allem aus Kuhherzen und -lebern und einem »Getränk aus Milch, Grünkohl und Spinat« besteht.

»Würg!« mögen die meisten denken, wenn sie das hören. Doch kann ein Fußballer von Weltrang wie Sie sich gewiss einen persönlichen Spitzenkoch leisten, der die nötige Variation in den Speiseplan bringt: morgens Porridge aus Baby-Kuhherzen in Grünkohl-Spinat-Milch, mittags Burger aus einem Kuhleber-Patty und zwei Kuhherzenhälften und Spinat-Grünkohl-Eiscreme zum Nachtisch, abends Eintopf aus Kuhherzen, Kuhleber, Spi… na ja, Sie wissen schon!

Bon appétit wünscht Titanic

 Wurde aber auch Zeit, Niedersächsische Wach- und Schließgesellschaft!

Mit Freude haben wir die Aufschrift »Mobile Streife« auf einem Deiner Fahrzeuge gesehen und begrüßen sehr, dass endlich mal ein Sicherheitsunternehmen so was anbietet! Deine Mitarbeiter/innen sind also mobil. Sie sind unterwegs, auf Achse, auf – um es einmal ganz deutlich zu sagen – Streife, während alle anderen Streifen faul hinterm Büroschreibtisch oder gar im Homeoffice sitzen.

An wen sollten wir uns bisher wenden, wenn wir beispielsweise einen Einbruch beobachtet haben? Streifenpolizist/innen? Hocken immer nur auf der Wache rum. Streifenhörnchen? Nicht zuständig und außerdem eher in Nordamerika heimisch. Ein Glück also, dass Du jetzt endlich da bist!

Freuen sich schon auf weitere Services wie »Nähende Schneiderei«, »Reparierende Werkstatt« oder »Schleimige Werbeagentur«:

Deine besserwisserischen Streifbandzeitungscracks von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Feuchte Träume

Träumen norddeutsche Comedians eigentlich davon, es irgendwann mal auf die ganz große Buhne zu schaffen?

Karl Franz

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

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Das schreiben die anderen

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