Humorkritik | Mai 2021

Mai 2021

Doch innerlich lachte das Herz mir!
Marc Aurel

Kracht? Krass

Das Schönste an Christian Krachts vielbesungenem Roman »Eurotrash« (Kiepenheuer & Witsch) ist, dass ich zur Vorbereitung noch einmal »Faserland« las und mich wunderte und freute, wie sehr ich immer wieder lachen musste über den jungen Schnösel-Erzähler, dessen ästhetisch-politische Urteile zu maßlos sind, um nicht zu stimmen, und dessen Erzählung stets das passieren lässt, was seinem unstillbaren Urteilsbedürfnis entgegenkommt. Weshalb er aus dem Intercity von Frankfurt nach Karlsruhe flüchtet, um nicht mit Matthias Horx reden zu müssen, und das ist, um im Klang der Geschichte zu bleiben, natürlich sehr lustig.

Die nach Erscheinen von »Faserland« verbreitete (und die Meinungen darüber durchaus beeinflussende) Neigung, den Erzähler mit seinem Autor in eins zu setzen, thematisiert Kracht in der Wiedervorlage, die von einem »Christian Kracht« erzählt wird, der einst »Faserland« geschrieben hat und den wir grad darum, zwinker, nicht mit dem Autor verwechseln sollen. Doch Metaebenen sind ja gern mal öd, und der wild dezisionistische Gestus des Debüts, der nicht nur Wolfgang Herrndorf zum Schreiben gebracht hat, sondern auch im Tonfall des verehrten Kollegen Strunk zu schmecken ist, weicht dem, was heute Memoir heißt, nämlich einer Reise in des Autors Realvergangenheit als Sohn herzenskühl neureicher Leute, als Enkel von Nazis und Opfer sexuellen Missbrauchs. »Faserland« war irreal genug, um eine Wahrheit komisch freizugeben; »Eurotrash« tut so real, dass die Ironie, beim Titel angefangen, witzlos wird. Und wo die Bildungsunfälle des alten Erzählers ihn beglaubigten, stehen die Stilwackler des neuen – kann etwas gegen eine Wand zerschellen? Kann man Tickets buchen (statt die Reise)? – dann nur mehr für Kracht selbst, auch wenn er nicht für den Erzähler gehalten werden will. Ich möchte finden, aus Gründen.

Uneingeschränktes Lesevergnügen hat mir dagegen Martin Mosebachs Roman »Krass« (Rowohlt) bereitet, weil die Ironie mit den Namen der Hauptfiguren: Krass, Dr. Jüngel und Lidewine bereits abgegolten ist und der Erzählung so uneinholbar vorauseilt, wie es die Möhre dem Esel tut. Ironie funktioniert hier als Möglichkeit, die der Roman als bekannt voraussetzt, wenn er von so hohen Dingen wie Schicksal und Fügung, Größe und Untergang handelt. Mosebach bildet sich ja viel darauf ein, ein Reaktionär zu sein, und seine selbstbewusste Artistik, die für gewöhnlich als Manierismus geführt wird, zwinkert, anders als Thomas Mann, genau einmal, weil Humor bekanntlich das rechte Maß ist; und dass es das hier wirklich ist, mag dann doch wieder Ironie sein. Meinethalben romantische.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hello, Herzogin Kate!

Hello, Herzogin Kate!

Ihr erster öffentlicher Auftritt seit Bekanntmachung Ihrer Krebserkrankung wurde von der Yellow Press mit geistreichen Überschriften wie »It’s just Kate to see you again« oder »Kate to have you back« bedacht.

Und bei solchen Wortspielen darf unsereins natürlich nicht fehlen! Was halten Sie von »Das Kate uns am Arsch vorbei«, »Danach Kate kein Hahn« oder »Das interessiert uns einen feuchten Katericht«?

Wie immer genervt vom royalen Kateöse: Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

 Augen auf, »dpa«!

»Mehrere der Hausangestellten konnten weder Lesen noch Schreiben« – jaja, mag schon sein. Aber wenn’s die Nachrichtenagenturen auch nicht können?

Kann beides: Titanic

 Endlich, »ARD«!

Seit Jahren musst Du Dich rechtfertigen, weil Du immer wieder die NS-Enthusiast/innen von der AfD zu Kuschelkursinterviews einlädst und ihnen eine gebührenfinanzierte Plattform bietest, damit sie Dinge verbreiten können, die sich irgendwo zwischen Rassenlehre und Volksverhetzung befinden. Aber jetzt hast Du es den Hatern endlich gezeigt und AfD-Anführer Tino Chrupalla in das härteste Interviewformat ever eingeladen: »Frag selbst«, das freaky Social-Media-Format von der Tagesschau, das schon Olaf Scholz mit knallharten Fragen à la »Wann Döner wieder drei Euro?« niedergerungen hat. Wir sind uns sicher: Besser als mit einem Kartoffelranking auf dem Twitch-Kanal der Tagesschau kann die AfD gar nicht entlarvt werden!

Legt schon mal die Chips bereit: Titanic

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Zeitsprung

Dem Premierenpublikum von Stanley Kubricks »2001: Odyssee im Weltraum« wird der Film 1968 ziemlich futuristisch II vorgekommen sein.

Daniel Sibbe

 Dialog auf Augenhöhe

Zu meinen Aufgaben als Marketingexperte in einem modernen Dienstleistungsunternehmen gehört es unter anderem, unzufriedene Kunden zu beschwichtigen. Vor kurzem beschwerte sich einer von ihnen darüber, dass wir in unseren Texten immer dieselben Bausteine verwenden. Die Mail ließ mich ganz irritiert zurück. Ein Glück, dass wir für genau solche Anfragen gleich fertige Antworten haben.

Andreas Maier

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster