Humorkritik | März 2021

März 2021

Nichts ist verächtlicher als ein trauriger Witz.
Friedrich Schlegel

Frisch erpresste Heiterkeit

Axel Hacke wurde 65, und wer diesen seit langer Zeit in der Süddeutschen und anderswo kolumnierenden Kolumnisten nicht kennen sollte, auf den muss seine Geburtstagspreisung durch die Journalistenkollegin Elke Richter beeindruckend gewirkt haben. Mit »Heiterkeit und Augenzwinkern« schreibe Hacke in seinen Texten »gegen die Widrigkeiten des Lebens an« bzw. »pikst dort die Unverständlichkeiten des Lebens auf«; bleibe aber, so Richter, »selbst bei ernsten Themen amüsant und unterhaltsam« – und das alles nicht aus Versehen, sondern vorsätzlich: »Mit Bedacht wählt er seine Worte«. Was Hacke zudem »beliebt macht, ist das Fehlen von Zynismus und moralintropfend-erhobenem Zeigefinger«, außerdem lasse er sich »nicht davon abhalten, seinen Finger auch künftig in die gesellschaftlichen und politischen Wunden zu legen«. Wenn auch wahrscheinlich nicht den Zeigefinger.

Das Verblüffende an dieser Huldigung ist: Sie trifft zu. Wer etwa Hackes neues Buch »Im Bann des Eichelhechts und andere Geschichten aus Sprachland« (Kunstmann) aufschlägt, wird zustimmen: mit Bedacht gewählte Worte, aufgepikste Unverständlichkeiten, frei von Zynismus, wie man es von Hacke gewohnt ist. Wie schon in seinem bekannten Buch »Der weiße Neger Wumbaba« beschäftigt er sich mit sprachlichen Fehlleistungen, die ihm seine Leserschaft zugeschickt hat. Diese Leserschaft scheint sich vor allem auf (Fern-)Reisen rumzutreiben, denn das Gros der Trouvaillen entstammt in fehlerhaftem Deutsch gehaltenen Speisekarten. Dazu kommen Äußerungen des immer wieder entzückenden Kindermunds, Verhörer und andere putzige Patzer: »Coffee to go zum Mitnehmen« – Hammer! Gelegentlich macht das wirklich schmunzeln: »Frisch erpresster Zitronensaft«. Leider aber kann Hacke mit seinem Material nicht viel anfangen – oder er unterstellt mir als Leser, dass ich nichts damit anfangen könne: Warum sonst werden die Pointen der sich im allgemeinen flott erschließenden Fehlleistungen permanent kaputterklärt? Man nehme nur den »Ochsenschwan«, »der zu einer offenbar reichhaltigen Suppe verarbeitet worden war, der Ochsenschwansuppe. Der Ochsenschwan muss einfach ein ungeheures Tier sei. Schon die Schwäne an sich zählen ja zu den größten und schwersten flugfähigen Wasservögeln. Aber die Vorstellung eines ochsengroßen Schwans, der sich mühsam von der Wasseroberfläche erhebt …«, na ja, und so weiter, bis man angekumpelt wird: »Es raubt einem die Luft, nicht wahr, diese Vorstellung?« (Muss es nicht heißen: Sie raubt einem die Luft? Wegen DIE Vorstellung? Egal.)

Manchmal schlägt das Harmlos-Humorige ins Unangenehme: wenn etwa Hacke seinen »lieben Freund L.« erwähnt, dessen »bosnische Zugehfrau« ihrem Herrn einen Zettel hinterläßt, auf dem steht, das Essen befinde sich im »Rheumatopf«. Und »L. wusste, was gemeint war«. Ja, diese ausländische Dienerschaft: reichlich dumm, aber immerhin kann man über diese Dummheit gelegentlich lachen. Allerdings weiß auch ich, was gemeint ist. Hackes Humor ist deutscher Humor: Zeigefinger ohne Moral. Da freut sich nicht nur die Leserschaft der Süddeutschen Zeitung.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

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Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann