Humorkritik | April 2021

April 2021

Wenn ein kluger Kopf eine offensichtliche Eselei schreibt, dann ist es Satire; wenn es ein Esel tut, nicht.
Wyndham Lewis

Maar macht Spaß

»Das macht extrem Spaß, habe halbe Minuten gelacht und bin begeistert: so fein und smart und entspannt radikal.« Was wiederum mir längst keinen Extremspaß mehr macht, ist derlei werbendes Buchdeckelgeblöke, hier von Helene Hegemann, das sich von Nulletiketten wie »brüllend komisch« kaum unterscheidet; wie ich Michael Maars vielgelobte Stil- und Literaturkunde »Die Schlange im Wolfspelz. Das Geheimnis großer Literatur« (Rowohlt) denn auch nicht derart zum Lachen fand. Zwar können Sprach- und Stilunfälle lustig sein, aber dafür geht’s bei Maar, der schon eher (deutschsprachige) Lieblinge versammelt, nicht eklatant genug zu, und andererseits vergibt er das Gütesiegel »komisch« nicht allzu streng: So ist Botho Strauß komisch und Clemens J. Setz komisch, und Thomas Mann ist sogar der »Papst der komischen Prosa«, schon wegen »Herr und Hund«. Da würde ich glatt bellend auf die Neue Frankfurter Schule aufmerksam machen, wenn Maar, auch hierin kundig, das nicht selbst schon täte.

Überhaupt zeigt er, stupend belesen und über Blick und Ohr für Kniffe, Töne, Kitsch und Fehler verfügend, eine sozusagen herzliche Offenheit, die erst bei Stefan Zweig und Marlene Streeruwitz ihre Grenzen findet. Thomas Manns ironiepäpstliche Schwächen, zumal die Nähe zum höheren Kunstgewerbe, legt sein Bewunderer genauso freudig bloß wie die von Goethes »Wahlverwandtschaften«, weswegen ich gegen das lesbare, aufschlussreiche, wenn auch naturgemäß zu allerlei Einsprüchen einladende Opus nur zweierlei vorbringen will: das etwas dick Propädeutische (jetzt stellen wir uns einmal ganz dumm und fragen: Was ist eigentlich eine Metapher?), das bis zum törichten, heutige Bildungsbürgerbedürfnisse verratenden Literaturquiz reicht und über sich hinaus nichts mitzuteilen hat, weil es für guten Stil ja »keine Formel« gibt, »es kann sie nicht geben« (es sei denn als tautologische); und die mitunter etwas helle Freude am Subjektiven, die dann so unversehens wie »voulu« – »gewollt« ist das, was Stil nicht ist – Thomas Bernhard mit Marcel Proust vergleicht, dessen »Satzgirlanden« freilich »ganz anders aufgehängt« seien: Sie »funkeln ganz anders als die letztlich verhockten und vermufften Bösartigkeits-Sermone und Grollschwälle des menschlich ohnehin unerträglichen, wenn auch von jeher schwer gebeutelten Herrn Bernhard!« Ich bin der letzte, der den Spaß (und die Koketterie) nicht verstünde, aber ein Ekel soll Monsieur Proust ja nun gleichfalls gewesen sein, was natürlich wurscht ist, hier aber für eine Pointe sorgt, über die sich Helene Hegemann nicht halbminutenlang ausgeschüttet haben kann.

Mir ist Maar lieber, wenn sein Witz festen Boden hat (über Heinrich Mann und seine Marotte, dass er »jedes einzelne Wort in die möglichst untypische Ecke stellt«: »das liest sich dann manchmal wie von Google übersetzt«), wenn er den Finger drauflegt, aufs Gelungene wie Danebene, und sich, als Phrasenkritiker, Phrasen wie das immer gleich falsche »Wer hier nicht weint, der hat kein Herz« verkneift. Falls man das fad Brecht angekreidete »Moskauderwelsch« samt erratischer Sozialismus- und DDR-Kritik nicht mit den wirklich hübschen »Grollschwällen« verrechnen will.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hey, »Dyn Sports«!

Bitte für zukünftige Moderationen unbedingt merken: Die Lage eines Basketballers, der nach einem Sturz »alle Viere von sich streckt«, ist alles Mögliche, aber bestimmt nicht »kafkaesk«. Sagst Du das bitte nie wieder?

Fleht Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Ganz schön unentspannt, Giorgia Meloni!

Nachdem Sie eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht haben, wird nun voraussichtlich ein Prozess gegen den britischen Rockstar Brian Molko eingeleitet. Dieser hatte Sie bei einem Konzert seiner Band Placebo in Turin als Nazi und Faschistin bezeichnet.

Wir finden, da könnten Sie sich mal etwas lockermachen. Wer soll denn bitte noch durchblicken, ob Sie gerade »Post-«, »Proto-« oder »Feelgood-« als Präfix vor »Faschistin« bevorzugen? Und: Wegen solcher Empflichkeiten gleich vor Gericht zu gehen, kostet die Justiz so viel wertvolle Zeit. Die könnte sie doch auch nutzen, um Seenotretter/innen dingfest zu machen oder kritische Presse auszuschalten. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht, Sie Snowflake?

Schlägt ganz gelassen vor: Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Empfehlung für die Generation Burnout

Als eine günstige Methode für Stressabbau kann der Erwerb einer Katzentoilette – auch ohne zugehöriges Tier – mit Streu und Siebschaufel den Betroffenen Abhilfe verschaffen: Durch tägliches Kämmen der Streu beginnt nach wenigen Tagen der entspannende Eintritt des Kat-Zengarteneffekts.

Paulaner

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
08.05.2024 Wiesbaden, Schlachthof Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
09.05.2024 Zürich, Friedhof Forum Thomas Gsella
09.05.2024 München, Volkstheater Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
10.05.2024 Weil am Rhein, Kulturzentrum Kesselhaus Thomas Gsella