Humorkritik | Januar 2020
Januar 2020
Vielleicht ist aber auch der Witzeerzähler im Tiefsten Ordnungsmensch, denn nur so kann er den Witz als etwas Außergewöhnliches begreifen, das die Norm überschreitet. Der Geistlose merkt nicht mal, wo die Norm wäre.
Ruedi Widmer

Heitere Flasche
Dass Hermann Hesse als »humorlos und ohne Sinn für Schalk und Ironie« gilt, weiß auch der Insel Verlag, weshalb er den Auswahlband »Wir nehmen die Welt nur zu ernst. Heitere Texte« mit eben diesem Verdikt via Klappentext eröffnet. Auch Herausgeber Volker Michels versucht, Hesse- Humor-Kritikern den Wind aus den Segeln zu pusten, indem er im Nachwort Tucholsky erst zitiert – »Hesse hat keinen Humor (…) Von Selbstironie, diesem seltenen Artikel will ich gar nicht reden« –, dann aber eben diese Kritik revidiert, die nämlich nur »à propos Hesse gesagt worden ist – nicht gegen ihn«. Hm, rätselhaft.
Aber ich kann schließlich selber lesen. Fazit: Lustig und komisch, ironisch oder von mir aus auch schalkhaft sind Hesses Texte (zumindest in Michels’ Anthologie) wirklich nicht. Bei vielen handelt es sich um Randständiges, »Gelegenheits- und Scherzgedichte« zum Beispiel – doch gerade dort gibt es Hübsches zu entdecken: »Wer seinen Dienst am Dienstag nie / auf Donnerstag vertagt, / der tut mir leid, er ahnt nicht wie / der Mittwoch dann behagt.« Wenn aber Hesse sich mal traut, dezidiert komisch daherkommen zu wollen, bestätigt er die Zweifel an seiner Humorfähigkeit. Da gibt es etwa die Geschichte »Eduards des Zeitgenossen zeitgemäßer Zeitgenuß«, in der es ungewohnt albern zugeht (»Alle hatten ihn im Stich gelassen, und es gefiel ihm in diesem Stiche keineswegs«), doch diesen Akt regressiven Unsinns meint Hesse gleich mit einem Vorwort entschuldigen zu müssen: »Es muß auch Spiel und Spaß und Unschuld geben«. Denn: »Hinter diesem Sprachscherz zum Beispiel steht als bitterer Ernst der darin spielerisch verhöhnte Niedergang unserer Sprache«. Nein, ohne Ernst und Niedergang geht es nicht in all den harmlosen Schnurren und leicht verdaulichen »Schwäbischen Parodien«, die in »Knörzelfingen«, der »Perle des Knörzeltales«, angesiedelt sind und in denen uns nichts Irritierendes, Originelles unterkommt. Allenfalls waltet die versprochene Heiterkeit – in einem »heiteren Anblick«, einer »heiteren Stimmung«, sogar in »heiteren Glasflaschen«.
Womit Hesse, besieht man sich aktuelle Verlagsprogramme, neben Titeln wie »Heitere Tiergeschichten«, »Heitere Weihnachtsgeschichten«, »Heiter-amouröse Anekdoten«, dem Kalender »Heitere Worte« und sogar einem »heiteren Nordseeroman« voll auf der Höhe der Zeit sich befindet – bzw. ihres »Niederganges« (Hesse).