Humorkritik | Januar 2020

Januar 2020

Vielleicht ist aber auch der Witzeerzähler im Tiefsten Ordnungsmensch, denn nur so kann er den Witz als etwas Außergewöhnliches begreifen, das die Norm überschreitet. Der Geistlose merkt nicht mal, wo die Norm wäre.
Ruedi Widmer

Kreuz und vor allem quer

Neu ist es nicht: Wenn Schriftsteller eine Reise gemacht haben, glauben sie, was erzählen zu können. Ganz neu ist auch nicht, dass sie das Reisen kreuzweise können: David Foster Wallace (1997: »Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich«), Matthias Politycki (2008: »In 180 Tagen um die Welt«) und Wladimir Kaminer (2018: »Die Kreuzfahrer«) sind der Beweis. Doch sie alle kommen zu spät, denn Ihr Hans Mentz, der lieber durch Antiquariate kreuzt, hat bei einer solchen Entdeckungsreise das Buch entdeckt, in dem schon steht, was die Epigonen als Neuigkeit auszuposaunen wähnten: in der »Yankeedoodle-Fahrt« von Otto Julius Bierbaum, erschienen 1909. In diesem Bericht einer Mittelmeerkreuzfahrt auf dem »massigen Zweischlöter« mit dem amerikanischen Namen ist alles schon da:

Erstens die »Vergnügungsreisegesellschaft« an Bord, die dem Humoristen sofort das Bonmot eingibt: »Wer sich in eine Gesellschaft begibt, kommt darin um.« Den Beweis, dass »nichts so unerschütterlich wie Dummheit« ist, liefert sie ihm spätestens bei der Zwischenstation im sizilianischen Syrakus. Dort »öffnete eine alte und über alle Maßen häßliche Amerikanerin den tadellos mit falschen Zähnen garnierten Mund und sprach in einem amerikanisch gutturalisierten Deutsch, dem man deutlich anmerkte, daß es schwäbischer Herkunft war, die denkwürdigen Worte: ›Seit wann ischt Syrakus deutsch? Ich hab’ doch immer gemoint, es sei englisch.‹«

Zweitens die kreuzertypische Völlerei: Zum Frühstück verschlingt man zwei Pfannkuchen, sechs Brötchen und »ein kleines Waschbecken voll Milchkaffee«, um elf Uhr »Fleischbrühe und Biskuits«, zum Mittag Suppe, »drei Fleischgerichte«, Gemüse, Mehlspeise und Kompott, um vier Uhr Tee »nebst einem halben Pfund Kuchen«, um sieben ein »Diner von acht Gängen, eingebreit durch reichliche Spirituosen«, bevor man zu guter Letzt »gegen elf Uhr vor dem Zubettgehen sich noch einige Sandwichs einverleibt, um nicht aus der Übung zu kommen«.

Drittens das Schiff als schwimmende Stadt, in der es »Lese- und Rauchsalons« ebenso gibt wie Frisör, Wäscherei und »einen Turnsaal« nebst Hospital, außerdem eine Bibliothek, einen Fotografen, einen Zauberkünstler, »warme Seewasserbäder« (d.h. ein Spa), einen dritten Mann zum Skat und »vielleicht auch eine Braut und eine Schwiegermutter«.

Viertens die Landausflüge, die z.B. bezwecken, »Syrakus in fünf Stunden zu erledigen«. Doch wohin es auch geht und was man auch sucht, der Massentourismus hat es längst gefunden, und »die Fülle der Gesichte wird durch die Menge der Gesichter etwas beeinträchtigt«.

Fünftens der Rummel an Bord. Still ruht die See? Von wegen, »eines findet man nicht: Ruhe. Es kann wohl nirgends so still sein wie auf dem Meere, dem Reiche der stummen Kreatur«, doch »auf dem schwimmenden Kurhotel« muss ständig was los sein, und »mit geblähten Backen stehen die Blechbläser im Kreise und erfüllen die ruhige, laue Luft mit schändlichem Lärm«.

Als freiem Geist und Republikaner waren Bierbaum das wilhelminische Deutschland und die geistig bedürfnislosen Reichen aller Länder fremd. Doch immer quer ist irgendwann schwer: Auf halber Strecke erlahmt Bierbaum und kann nur noch die Sehenswürdigkeiten abhaken. Die »Yankeedoodle-Fahrt« ist eben bester Realismus: Wer sich auf eine Kreuzfahrt begibt, kommt darin um.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Keine Übertreibung, Mathias Richling,

sei die Behauptung, dass die Ampel »einen desaströsen Eindruck bei jedermann« hinterlasse, denn in den vielen Jahren Ihrer Karriere, so schilderten Sie’s den Stuttgarter Nachrichten, hätten Sie es noch nie erlebt, »dass ohne jegliche pointierte Bemerkung allein die bloße Nennung des Namens Ricarda Lang ein brüllendes Gelächter auslöst«.

Aber was bedeutet das? »Das bedeutet ja aber, zu Mitgliedern der aktuellen Bundesregierung muss man sich nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen.« Nun beruhigt uns einerseits, dass Ihr Publikum, das sich an Ihren Parodien von Helmut Kohl und Edmund Stoiber erfreut, wohl immerhin weiß, wer Ricarda Lang ist. Als beunruhigend empfinden wir hingegen, dass offenbar Sie nicht wissen, dass Lang gar kein Mitglied der aktuellen Bundesregierung ist.

Muss sich dazu nichts Satirisches und keinen Kommentar mehr einfallen lassen: Titanic

 Sie, Romancier Robert Habeck,

Sie, Romancier Robert Habeck,

nehmen Ihren Nebenjob als Wirtschaftsminister wohl sehr ernst! So ernst, dass Sie durch eine Neuauflage Ihres zusammen mit Ihrer Ehefrau verfassten Romans »Der Tag, an dem ich meinen toten Mann traf« versuchen, fast im Alleingang dem darniederliegenden Literaturmarkt auf die Sprünge zu helfen. Könnten Sie sich als Nächstes das Zeitschriftensterben vorknöpfen?

Fragt Titanic

 Huhu, »HNA« (»Hessische/Niedersächsische Allgemeine«)!

Mit großer Verblüffung lesen wir bei Dir in einem Testbericht: »Frischkäse ist kaum aus einem Haushalt in Deutschland wegzudenken.«

Och, Menno! Warum denn nicht? Und wenn wir uns nun ganz doll anstrengen? Wollen wir es denn, HNA, einmal gemeinsam versuchen? Also: Augen schließen, konzentrieren und – Achtung: hui! – weg damit! Uuuund: Futschikato! Einfach aus dem eigenen Haushalt weggedacht. Und war doch überhaupt nicht schlimm, oder?

Es dankt für die erfolgreiche Zusammenarbeit und hofft, einen kleinen Denkanstoß gegeben zu haben, wenn nicht gar einen Wegdenkanstoß: Titanic

 Ganz, ganz sicher, unbekannter Ingenieur aus Mittelsachsen,

dass Du Deine Verteidigungsstrategie nicht überdenken willst? Unter uns, es klingt schon heftig, was Dir so alles vorgeworfen wird: Nach einem Crash sollst Du einem anderen Verkehrsteilnehmer gegenüber handgreiflich geworden sein, nur um dann Reißaus zu nehmen, als der Dir mit der Polizei kommen wollte.

Die beim wackeren Rückzug geäußerten Schmähungen, für die Du nun blechen sollst, wolltest Du vor dem Amtsgericht Freiberg dann aber doch nicht auf Dir sitzen lassen. Weder »Judensau« noch »Heil Hitler« willst Du gerufen haben, sondern lediglich »Du Sau« und »Fei bitter«. Magst Du das nicht noch mal mit Deinem Rechtsbeistand durchsprechen? Hast Du im fraglichen Moment nicht vielleicht doch eher Deinen Unmut über das wenig höfische Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (»Kein Ritter!«) geäußert, hattest Deinen im selben Moment beschlossenen Abschied von den sozialen Medien (»Bye, Twitter!«) im Sinn, oder hast gar Deiner verspäteten Freude über die olympische Bronzemedaille des deutschen Ruder-Achters von 1936 (»Geil, Dritter!«) Ausdruck verliehen?

Nein? Du bleibst dabei? Und würdest dafür sogar ins Gefängnis gehen (»Fein, Gitter!«)?

Davor hat fast schon wieder Respekt: Titanic

 Damit hast Du nicht gerechnet, »Zeit online«!

Als Du fragtest: »Wie gut sind Sie in Mathe?«, wolltest Du uns da wieder einmal für dumm verkaufen? Logisch wissen wir, dass bei dieser einzigen Aufgabe, die Du uns gestellt hast (Z+), erstens der zweite Summand und zweitens der Mehrwert fehlt.

Bitte nachbessern: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Süße Erkenntnis

Für jemanden, der Pfirsich liebt, aber Maracuja hasst, hält die Welt viele Enttäuschungen bereit.

Karl Franz

 Nachwuchs

Den werdenden Eltern, die es genau mögen, empfehle ich meinen Babynamensvorschlag: Dean Norman.

Alice Brücher-Herpel

 3:6, 6:7, 0:6

Der Volontär in der Konferenz der Sportredaktion auf die Bitte, seine Story in drei Sätzen zu erzählen.

Ronnie Zumbühl

 Hellseherisch

Morgen ist einfach nicht mein Tag.

Theo Matthies

 Dilemma

Zum Einschlafen Lämmer zählen und sich täglich über einen neuen Rekord freuen.

Michael Höfler

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
05.12.2023 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Stargast Til Mette
06.12.2023 Oldenburg, Wilhelm 13 Bernd Eilert mit Sandra Kegel und Klaus Modick
06.12.2023 Berlin, Das ERNST Hauck & Bauer mit Kristof Magnusson
07.12.2023 Bad Homburg, Kulturzentrum Englische Kirche Pit Knorr & Die Eiligen Drei Könige