Humorkritik | Dezember 2020

Dezember 2020

Sind wir nicht bis zur Komik arme Menschen?
Franz Kafka

Trottel in Weiß

Die ab 3. Dezember in den deutschen Kinos anlaufende, im Frankreich bereits im Dezember 2019 veröffentlichte Komödie »Ein Doktor auf Bestellung« will unübersehbar eine leichte Weihnachtskomödie sein. Mit fast 800 000 Kinobesuchern war der im Original »Docteur?« betitelte Film ein Kassenerfolg. Und kurzweilig ist er durchaus: Man beobachtet Serge, einen alternden Arzt, der an Heiligabend mit dem Auto Bereitschaftsdienst schieben muss, da er im Gegensatz zu den Kollegen offenbar keine familiären Verpflichtungen hat oder einfach nicht schnell genug auf dem Weihnachtsbaum war. Während seiner Feiertagsschicht fährt er den »selbständigen Essenslieferanten« Malek an und kann sich infolge des Unfalls kaum mehr bewegen. Da ihm aber aufgrund verschiedener Patientenbeschwerden ohnehin der Ausschluss aus der Ärztekammer droht, entscheidet Serge, sein Unfallopfer zum Ersatzarzt zu machen und ihn, über kleine Kopfhörer und das Smartphone ferngesteuert, zu den Patienten zu schicken. Erwartungsgemäß gerät der neue »Doktor« von einem Schlamassel in den nächsten.

Zu loben ist die Figur des grantelnden Alkoholikers Serge, der zwei überambitionierten Eltern eines kreischenden Säuglings Ohrenstöpsel verschreibt und dem Kind seinen Daumen in den Mund stopft, damit es Ruhe gibt. Der gute Doktor schläft schon einmal auf der Bettkante einer Patientin ein, die ihn eigentlich gerufen hat, um jemanden zum Reden zu haben. Auch die kleine Nebenhandlung, in der Malek mehrmals einen arroganten Hipster verschaukelt, hat mir gefallen; und die Szene, in der er beim Blick zwischen die Beine einer Patientin in Ohnmacht fällt, da ihm dort offenbar ein Babykopf entgegenblickt, sogar sehr.

Leider hat es sich Regisseur und Co-Drehbuchautor Tristan Séguéla vorgenommen, dem albernen Treiben tragische Tiefe zu geben. So etwa durch Serges Sohn, der bei einem Lawinenunglück ums Leben gekommen ist und dessen Ex-Freundin in der nämlichen Weihnachtsnacht einen Selbstmordversuch begeht. Warum genau, bleibt unerklärt – wie auch einiges andere: Wir erfahren nicht, warum eine Familie in der eigenen Wohnung eine Kohlenmonoxidvergiftung erleidet, warum der alte Monsieur Xanakis von den Toten aufersteht etc. Auch stellt sich Ersatzarzt Malek oft allzu blöde an: Dass man mit einem Infrarotthermometer dem Patienten nicht auf den Bauch zielt, dürfte auch der Laie ahnen. So wird eine Figur unplausibel, die gar nicht als Vollidiot angelegt war, und all das hat mir den Spaß an der Sache doch sehr vergällt. Sollte ich an Heiligabend krank werden, gehe ich jedenfalls in die Notaufnahme, statt einen ärztlichen Bereitschaftsdienst zu rufen. Zu lachen habe ich da wie dort nicht viel.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Sie, Victoria Beckham,

Sie, Victoria Beckham,

behaupteten in der Netflix-Doku »Beckham«, Sie seien »working class« aufgewachsen. Auf die Frage Ihres Ehemanns, mit welchem Auto Sie zur Schule gefahren worden seien, gaben Sie nach einigem Herumdrucksen zu, es habe sich um einen Rolls-Royce gehandelt. Nun verkaufen Sie T-Shirts mit dem Aufdruck »My Dad had a Rolls-Royce« für um die 130 Euro und werden für Ihre Selbstironie gelobt. Wir persönlich fänden es sogar noch mutiger und erfrischender, wenn Sie augenzwinkernd Shirts mit der Aufschrift »My Husband was the Ambassador for the World Cup in Qatar« anbieten würden, um den Kritiker/innen so richtig den Wind aus den Segeln zu nehmen.

In der Selbstkritik ausschließlich ironisch: Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Dear Weltgeist,

das hast Du hübsch und humorvoll eingerichtet, wie Du an der Uni Jena Deiner dortigen Erfindung gedenkst! Und auch des Verhältnisses von Herr und Knecht, über das Hegel ebenfalls ungefähr zur Zeit Deiner Entstehung sinnierte. Denn was machst Du um die 200 Jahre später, lieber Weltgeist? Richtest an Deiner Alma Mater ein Master-Service-Zentrum ein. Coole Socke!

Meisterhafte Grüße von Deiner Titanic

 Mmmmh, Thomas de Maizière,

Mmmmh, Thomas de Maizière,

über den Beschluss der CDU vom Dezember 2018, nicht mit der Linkspartei oder der AfD zusammenzuarbeiten, an dem Sie selbst mitgewirkt hatten, sagten Sie bei Caren Miosga: »Mit einem Abgrenzungsbeschluss gegen zwei Parteien ist keine Gleichsetzung verbunden! Wenn ich Eisbein nicht mag und Kohlroulade nicht mag, dann sind doch nicht Eisbein und Kohlroulade dasselbe!«

Danke für diese Veranschaulichung, de Maizière, ohne die wir die vorausgegangene Aussage sicher nicht verstanden hätten! Aber wenn Sie schon Parteien mit Essen vergleichen, welches der beiden deutschen Traditionsgerichte ist dann die AfD und welches die Linke? Sollte Letztere nicht eher – zumindest in den urbanen Zentren – ein Sellerieschnitzel oder eine »Beyond Kohlroulade«-Kohlroulade sein? Und wenn das die Alternative zu einem deftigen Eisbein ist – was speist man bei Ihnen in der vermeintlichen Mitte dann wohl lieber?

Guten Appo!

Wünscht Titanic

 Hallo, faz.net!

»Seit dem Rückzug von Manfred Lamy«, behauptest Du, »zeigt der Trend bei dem Unternehmen aus Heidelberg nach unten. Jetzt verkaufen seine Kinder die Traditionsmarke für Füller und andere Schreibutensilien.« Aber, faz.net: Haben die Lamy-Kinder nicht gerade davon schon mehr als genug?

Schreibt dazu lieber nichts mehr: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 No pain, no gain

Wem platte Motivationssprüche helfen, der soll mit ihnen glücklich werden. »There ain’t no lift to the top« in meinem Fitnessstudio zu lesen, das sich im ersten Stock befindet und trotzdem nur per Fahrstuhl zu erreichen ist, ist aber wirklich zu viel.

Karl Franz

 Kehrwoche kompakt

Beim Frühjahrsputz verfahre ich gemäß dem Motto »quick and dirty«.

Michael Höfler

 Treffer, versenkt

Neulich Jugendliche in der U-Bahn belauscht, Diskussion und gegenseitiges Überbieten in der Frage, wer von ihnen einen gemeinsamen Kumpel am längsten kennt, Siegerin: etwa 15jähriges Mädchen, Zitat: »Ey, ich kenn den schon, seit ich mir in die Hosen scheiße!«

Julia Mateus

 Frühlingsgefühle

Wenn am Himmel Vögel flattern,
wenn in Parks Familien schnattern,
wenn Paare sich mit Zunge küssen,
weil sie das im Frühling müssen,
wenn überall Narzissen blühen,
selbst Zyniker vor Frohsinn glühen,
Schwalben »Coco Jamboo« singen
und Senioren Seilchen springen,
sehne ich mich derbst
nach Herbst.

Ella Carina Werner

 Kapitaler Kalauer

Da man mit billigen Wortspielen ja nicht geizen soll, möchte ich hier an ein großes deutsches Geldinstitut erinnern, das exakt von 1830 bis 1848 existierte: die Vormärzbank.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 27.03.:

    Bernd Eilert denkt in der FAZ über Satire gestern und heute nach.

Titanic unterwegs
28.03.2024 Nürnberg, Tafelhalle Max Goldt
31.03.2024 Göttingen, Rathaus Greser & Lenz: »Evolution? Karikaturen …«
04.04.2024 Bremen, Buchladen Ostertor Miriam Wurster
06.04.2024 Lübeck, Kammerspiele Max Goldt