Humorkritik | Dezember 2020
Dezember 2020
Sind wir nicht bis zur Komik arme Menschen?
Franz Kafka
Mulm und Mull
Ich will gar nicht ausschließen, dass ich selbst das Wort »Hochkomik« erfunden oder wenigstens in den Sprachschatz geschleust oder wenigstens beim Schleusen geholfen habe; und darf ich zugeben, dass ich nicht mehr sicher weiß, ob es nun Spitzenkomik generell bezeichnet oder bloß jene, die auch vom Feuilleton, als eben Literatur und »hohe«, ästimiert wird? Falls der Unterschied in der entwickelten Popkultur überhaupt noch besteht.
Dafür spricht, dass das Feuilleton der »Süddeutschen Zeitung« bei Marcel Beyers neuen Gedichten (»Dämonenräumdienst«, Suhrkamp) »Hochkomik« diagnostiziert hat, womit es nicht ernstlich meinen wird, man mache beim Lesen unter sich. Aber gefallen haben sie mir trotzdem, und wenn komische Gedichte vielleicht eh mehr den für Komik zuständigen Hirnbereich reizen als das Zwerchfell, also eher ästhetische denn vegetative Befriedigung verschaffen, dann haben dem Humorkritiker Beyers nur auf den ersten Blick wahllos umbrochene Sätze – der Witz ist: der Umbruch schafft den Satz – auch ohne Reim gefallen: »Die Tage gibt es, an denen man / als Zombie durch die Szene / wanken muss, über den Wertstoffhof / am Rand der Stadt, bei zwei // Grad Außentemperatur, mit Dunst / im Blick und kaltem Staub. / Man schiebt die großen Füße vor / sich her und summt vor sich / hin: Ich glitt durch den Mulm, / und der Mulm glitt durch / mich, und ich schnitt mir vom Mull, / doch der Mull litt es nicht.« Es gibt ja nun reichlich Definitionen, was das Komische sei, und wie wäre es mit: In Form aufgelöste Form?
Schön und auf gewisse Weise Brinkmannsch auch, den englischen Romantiker Samuel Taylor Coleridge in Köln das Klo suchen zu lassen: »… Er sucht die / Keramikabteilung. Dringend / verlangt er nach den Nymphen. / Es riecht nach Flüssigem, es // riecht nach Klößchen. Weil ich / ja ein Reimer und grad auch / guter Dinge bin, oder vielleicht ja / eher doch, weil ich als Luder // gehe und entzündet bin, hab ich / erzählt, was Coleridge in / Köln, wo man, seitdem die Römer / weg sind, nicht mehr lüftet, roch.« Und ich lüfte meinen alten Kopf und freue mich über eine Überraschung; und muss doch glatt mal nachriechen, was Beyer, der Büchnerpreisträger von 2016, sonst noch so verbrochen hat. Oder wenigstens: um-.