Humorkritik | Dezember 2020

Dezember 2020

Sind wir nicht bis zur Komik arme Menschen?
Franz Kafka

Komiker Klute

Kann ein wie eine Verheißung klingender Satz lustig sein, und kann man überhaupt verstehen, was das besagt? Offensichtlich schon; zumindest vermag ein solcher Satz gleich auf der ersten Seite die Hauptfigur von Hilmar Klutes »Oberkampf« (Galiani) zu erheitern, einen gewissen Jonas, der (wie Klute höchstselbst und bereits dessen Debütromanheld) sehr gerne Dichter werden möchte: »In Paris wird die Welt nicht untergehen, dachte Jonas und musste über den Satz lachen, weil er wie eine Verheißung klang.« Rätselhaft. Überhaupt ist es mit dem Lachen in Klutes zweitem Roman so eine Sache. Eine Christine etwa, die Schambehaarung ihr eigen nennt, welche »wie ein zerfetzter Seetangteppich« aussieht, »warf ihr Lachen gewissermaßen auf die Straße, so wie man einen Zigarettenstummel wegwirft.« So leichtfertig schmeiße ich nicht mit meinem Lachen um mich, musste aber doch mehrmals schmunzeln über Klutes wild blühenden Stil, der ihm – gäbe es ihn denn – den Juli-Zeh-Award für unfreiwillig komische Vergleiche einbrächte: »Die Müdigkeit hockte in seinem Kopf wie ein eingeschlossener Passagier«; »Irgendwann machen sich die alten Gewohnheiten selbstständig wie die Clownspuppen in Horrorfilmen«; »Elias’ Hand zitterte und ließ den Kaffee aus der roten Plastiktasse schwappen wie Meereswellen an der irischen Küste« (nicht vielleicht doch an der portugiesischen?); »Wie ein tieffliegendes Segelflugzeug klang es, dieses lange, auf- und niedersteigende ›I‹«; »Jonas saß wie gehäutet auf seinem Stuhl«. Und dann auch noch »jeden Morgen die Treffen mit Sex und Mittagessen« – statt sich mal auszuruhen vom vorabendlichen Frühstück.

Wenn Sie sich – im Gegensatz zu mir – eine Verwahrlosung vorstellen können, die »überall ihre Visitenkarten hinterlassen hatte«, kein Problem haben mit »stummen Gesten«, mit Autos, die »schleichend die steile enge Straße hochkrochen«, einem Platz, »den immer noch die Hubschrauber segneten«, dem »Gesang« eines Löwen, vulgo eines »wilden Tieres, der wie eine knarzende Tür klang, die unablässig auf- und zugezogen wurde« – wenn Sie mit alldem also nicht nur einverstanden sind, sondern es sogar für »elegant« erachten, dann sind Sie wahrscheinlich im Kritikergewerbe tätig und haben auch Klutes Vorgängerroman bereits mit Lob behudelt (»Unglaublich feine Sprachkraft«, Christine Westermann, Literarisches Quartett; »Ein menschlich und sprachlich reifes Debüt«, Martin Halter, FAZ).

Wie macht Klute das nur? Wie errichtet er »die von Haupt- und Nebensätzen dröhnende Zitadelle seines gesprochenen Werks«, nein, seines geschriebenen natürlich? Vermutlich so wie »Jonas redete«, »wie ihm sein Hirn die Wörter zuteilte« nämlich. Auf dass »keine Silbe unverwertet zu Boden tropfte«. Mir hingegen geht es in diesem Fall eher wie o.g. Christine: Die »hielt sich die flache Hand an die Stirn, um ihre Fassungslosigkeit über Jonas’ unangenehme Lage ins Gestische zu verlängern«. Ein Glück, kann ich meine Fassungslosigkeit bei der Lektüre von Klutebüchern stets ins Komische verlängern. Aber ich bin ja auch Profi.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bitte schön, Annika Stechemesser!

Sie sind Klimaforscherin in Potsdam, wurden in der Frankfurter Rundschau am Tag nach den brisanten Landtagswahlen zum Thema »effektiver Klimaschutz« interviewt, und da wir heute auf keinen Fall Witze mit Namen machen wollen, lassen wir das einfach mal so stechen, äh, stehen!

Ganz lieb grüßt Ihre Titanic

 Gott sei dank, »Focus«!

Du schreibst: »Fleischkonsum sinkt, Mitarbeiter fehlen. Fachkräftemangel trifft die Wursttheke«. Aber sieh es doch mal positiv, lieber Focus: Es wäre doch viel schlimmer, wenn aufgrund des hohen Fleischkonsums die Mitarbeiter/innen verschwinden würden …

Grüße aus der Fleet Street schickt Titanic

 Njamm, REWE!

Da lief uns ja das Wasser im Mund zusammen, als wir in einer Deiner Filialen mit dieser Werbung beschallt wurden: »Der Sommer schmeckt nach Heinz«. Mmmh! Nach welchem denn? Heinz Rühmann? Heinz Erhardt? Heinz Rudolf Kunze? Oder gar Karl-Heinz Rummenigge? Worauf wir danach aber komischerweise gar keinen Appetit mehr hatten, war Ketchup.

Im Anschluss an diesen Brief haben wir gleich noch ein paar weitere Erledigungen zu machen und freuen uns schon auf Durchsagen wie »Der Herbst schmeckt nach Stuhl« bei Ikea, »Der Herbst schmeckt nach Eicheln« im Gartencenter, »Der Herbst schmeckt nach getrockneten Ochsenschwänzen« im Tierfutterhandel oder »Der Herbst schmeckt nach Linoleum« im Baumarkt!

Deine Heinzelmäuse von Titanic

 Wie Ihr Euch als Gäste verhaltet, liebe »Zeit online«-Redaktion,

ist uns wirklich schleierhaft. Immerhin empfehlt Ihr allen guten Besucher/innen, beim Verlassen des Gästezimmers »mehr als eine Unterhose« anzuziehen. Da drängen sich uns einige Fragen auf: Ist Euch im Höschen öfters kalt? Ist das wieder so ein Modetrend, den wir verpasst haben? Gibt es bei Eurem Gastgeber keine Toilette und Ihr müsst vorbeugen?

Und wie trägt man überhaupt mehr als eine Unterhose? Muss man sich Buxen in aufsteigenden Größen kaufen oder reicht ein erhöhter Elastan-Anteil? Wie viele Schlüpferlagen empfiehlt der Knigge?

Denkbar wäre etwa, bei engen Freund/innen zu zwei, bei Geschäftskolleg/innen jedoch zu mindestens fünf Slips zu greifen. Aber wie sieht es aus bei der nahen, aber unliebsamen Verwandtschaft?

Trägt zur Sicherheit immer mindestens drei Stringtangas: Titanic

 Gut gehobelt, Noemi Molitor (»Taz«)!

»Unser Handwerk im Journalismus ist die Sprache. Bei genau diesem Werkzeug lohnt es sich also, genau hinzuschauen und auch ethische Fragen an orthografische Regeln zu stellen.«

Die Sprache: Handwerk und Werkzeug in einem. Wird auch nicht besser mit dem Fachkräftemangel, wie?

Schaut genau hin: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Mitläuferin? Ganz im Gegenteil!

Meine Oma fuhr im Widerstand Motorrad.

Andreas Maria Lugauer

 Im Unterzucker

Wenn man sich bei seinem Lieblingsitaliener keine Pizza bestellen kann, weil man nicht alle Vespas auf den Fotos gefunden hat – liegt das dann am nicht bestandenen Turin-Test?

Lara Wagner

 Zum Sterben hoffentlich zu dämlich

In der Wartezone der Arge in Fürth sitzen zwei Männer um die vierzig. Einer der beiden hält eine aufgeschlagene Tageszeitung so, dass der zweite mitlesen kann. Geduldig blättern sie gemeinsam bis zur Seite mit den Todesanzeigen. »Schau«, sagt der eine, »da ist einer zwei Mal gestorben.« – »Wie kommst du darauf?« – »Lies doch! Derselbe Name in zwei Anzeigen.« – »Tatsächlich! Zwei Mal gestorben. Wie er das wohl geschafft hat?« Eine längere Denkpause setzt ein. »Wahrscheinlich einer wie ich, der nichts auf Anhieb hinkriegt«, schlussfolgert der eine dann. »Ha, das kommt mir bekannt vor!« stimmt der zweite ein. »Meine erste Frau mit den Kindern abgehauen, Führerschein schon drei Mal gemacht. Also zwei Mal wegen Alkohol, und ich weiß gar nicht, wie oft ich schon hier nach einer neuen Arbeit angestanden bin.« – Seufzend: »Hoffentlich kriegen wir wenigstens das mit dem Sterben mal besser hin als der hier …«

Theobald Fuchs

 Schrödingers Ruhebereich

Wenn es im Abteil so still ist, dass ein Fahrgast einschläft und dann übertrieben laut schnarcht.

Loreen Bauer

 Jeder kennt ihn

Die Romantrilogie auf der Geburtstagsfeier, das Raclettegerät auf der Taufe, die Gartenfräse zur Beerdigung: Ich bin der Typ in deinem Bekanntenkreis, der dir geliehene Sachen in den unmöglichsten Situationen zurückgibt.

Leo Riegel

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 03.10.: Der MDR kramt bei der Debatte, ob Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet wird, die Zonen-Gaby wieder hervor.
  • 26.09.:

    Noch-Grünenchefin Ricarda Lang retweetet "ihren" Onlinecartoon vom 25.09.

  • 18.09.: TITANIC-Zeichnerin Hilke Raddatz ("Briefe an die Leser") ist mit dem Wilhelm-Busch-Preis geehrt worden. Die SZLZ und der NDR berichten.
  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

  • 29.08.:

    Die FR erwähnt den "Björnout"-Startcartoon vom 28.08.

Titanic unterwegs
11.10.2024 Coesfeld, Stadtbücherei Gerhard Henschel
12.10.2024 Bad Lauchstädt, Goethe Theater Max Goldt
12.10.2024 Freiburg, Vorderhaus Thomas Gsella
12.10.2024 Magdeburg, Moritzhof Hauck & Bauer