Humorkritik | Dezember 2020

Dezember 2020

Sind wir nicht bis zur Komik arme Menschen?
Franz Kafka

Political Kazakhstaness

Sacha Baron Cohens Aktionsfilme waren stets in mehrfacher Hinsicht eine Zumutung fürs Publikum. Nicht nur zielen die Scherze und Streiche in jeder Bedeutung des Wortes auf Scham, es wird auch viel an Einordnung verlangt: Die Filme, deren erfolgreichster »Borat« war, sind überkonstruiert, fügen sie doch gespielte und reale Sketche, die auch noch schockierend und entlarvend sein sollen, zu einer Erzählung zusammen. Das Ergebnis: Man kann nie ganz sicher sein, was »echt« ist und was nicht – was die Freude an der Entlarvung doch einigermaßen verdirbt. Als Klammer fungiert dabei das Frivole.

In der kurz vor der US-Wahl veröffentlichten Fortsetzung ist alles noch komplizierter: Borat ist als Figur inzwischen zu bekannt, als dass ihm noch jeder überall auf den Leim gehen würde; der Medienwelt wird insgesamt weniger vertraut als früher (und Cohen muss sich fragen lassen, ob er nicht nur zotige Fake News produziert); und Komik, gerade rabiate wie diese, steht unter dem nicht immer unberechtigten Verdacht, gefährliche Stereotype zu reproduzieren.

Cohen und sein Team lösen alle Probleme elegant, indem sie einen guten Teil der Überrumpelungen Borats Tochter überlassen. Die sitzt erst im Käfig, will dann gemäß ihrer patriarchalen Prägung in einen goldenen übersiedeln (gleich ihrem Vorbild Melania Trump), wird von einer schwarzen Frau auf den richtigen Pfad gebracht und ist am Ende ihrem Vater ebenbürtig. Borat selbst muss seltener auftauchen und lernt stattdessen stellvertretend für alle sexistischen Heteromänner Emanzipation zu akzeptieren. Nebenbei wird er, als antisemitische Karikatur verkleidet, in einer rührenden Szene von zwei herzlichen älteren Synagogenbesucherinnen vom Hass befreit, und weil mitten in den Dreharbeiten eine Pandemie ausbrach, wird auch noch die amerikanische Verschwörungsidiotie vorgeführt und Corona in die Pointe des Films eingebaut, die zudem eine Aufforderung zum Wählen enthält.

Das gefällt mir alles, denn ich bin fürs Gute in der Welt und für Diversität im Brachialhumor. Weshalb aber erscheint mir »Borat Subsequent Moviefilm – Delivery of Prodigious Bribe to American Regime for Make Benefit Once Glorious Nation of Kazakhstan« trotzdem weniger aufregend und lustig als der erste Teil?

Zum einen greift alles so glatt ineinander, bauen die Streiche so perfekt aufeinander auf, dass man noch weniger an die Authentizität der einzelnen Szenen glaubt. Zum anderen will der Film so viel des Guten, dass er die Gutmeinenden weitgehend schont. Dabei war Cohens Stärke stets, gerade aus jenen diskriminierendes Denken herauszuholen, die sich immun dagegen wähnten. Die Entlarvung der vermeintlich Besten mit relativ einfachen Mitteln erscheint mir progressiver als die derjenigen, bei denen alles eh schon offen zutage tritt.

Zu den schönsten Szenen gehören entsprechend die, in denen die vermeintlich Hopfen- und Malzlosen Erkenntnisfähigkeit zeigen. Wenn etwa zwei Rednecks, die Borat QAnon-Mythen erzählen, ihn nicht nur bei sich aufnehmen, sondern sich auch noch voller Mitgefühl an der Suche nach seiner kurzzeitig verlorenen Tochter beteiligen und ihm irgendwann deutlich machen, dass seine sexistischen Ansichten falsch, ja eine Verschwörungstheorie seien, bricht endlich mal die Eindeutigkeit auf. Das ist befreiend – und komisch, weil überraschend.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Ciao, Luisa Neubauer!

»Massendemonstrationen sind kein Pizza-Lieferant«, lasen wir in Ihrem Gastartikel auf Zeit online. »Man wird nicht einmal laut und bekommt alles, was man will.«

Was bei uns massenhaft Fragen aufwirft. Etwa die, wie Sie eigentlich Pizza bestellen. Oder was Sie von einem Pizzalieferanten noch »alles« wollen außer – nun ja – Pizza. Ganz zu schweigen von der Frage, wer in Ihrem Bild denn nun eigentlich etwas bestellt und wer etwas liefert bzw. eben gerade nicht. Sicher, in der Masse kann man schon mal den Überblick verlieren. Aber kann es sein, dass Ihre Aussage einfach mindestens vierfacher Käse ist?

Fragt hungrig: Titanic

 Wieso so eilig, Achim Frenz?

Wieso so eilig, Achim Frenz?

Kaum hast Du das Zepter im Kampf um die Weltherrschaft der Komischen Kunst auf Erden in jüngere Hände gelegt, da schwingst Du Dich nach so kurzer Zeit schon wieder auf, um in den höchsten Sphären für Deine Caricatura zu streiten.

Mögest Du Dir auch im Jenseits Dein beharrliches Herausgeber-Grummeln bewahren, wünscht Dir zum Abschied Deine Titanic

 Du, »Brigitte«,

füllst Deine Website mit vielen Artikeln zu psychologischen Themen, wie z. B. diesem hier: »So erkennst Du das ›Perfect-Moment -Syndrom‹«. Kaum sind die ersten Zeilen überflogen, ploppen auch schon die nächsten Artikel auf und belagern unsere Aufmerksamkeit mit dem »Fight-or-Flight-Syndrom«, dem »Empty-Nest-Syndrom«, dem »Ritter-Syndrom« und dem »Dead- Vagina-Syndrom«. Nun sind wir keine Mediziner/innen, aber könnte es sein, Brigitte, dass Du am Syndrom-Syndrom leidest und es noch gar nicht bemerkt hast? Die Symptome sprechen jedenfalls eindeutig dafür!

Meinen die Hobby-Diagnostiker/innen der Titanic

 Wussten wir’s doch, »Heute-Journal«!

Deinen Bericht über die Ausstellung »Kunst und Fälschung« im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg beendetest Du so: »Es gibt keine perfekte Fälschung. Die hängen weiterhin als Originale in den Museen.«

Haben Originale auch schon immer für die besseren Fälschungen gehalten:

Deine Kunsthistoriker/innen von der Titanic

 Erwischt, Bischofskonferenz!

In Spanien haben sich Kriminelle als hochrangige Geistliche ausgegeben und mithilfe künstlicher Intelligenz die Stimmen bekannter Bischöfe, Generalvikare und Priester nachgeahmt. Einige Ordensfrauen fielen auf den Trick herein und überwiesen auf Bitten der Betrüger/innen hohe Geldbeträge.

In einer Mitteilung an alle kirchlichen Institutionen warntest Du nun vor dieser Variante des Enkeltricks: »Äußerste Vorsicht ist geboten. Die Diözesen verlangen kein Geld – oder zumindest tun sie es nicht auf diese Weise.« Bon, Bischofskonferenz, aber weißt Du, wie der Enkeltrick weitergeht? Genau: Betrüger/innen geben sich als Bischofskonferenz aus, raten zur Vorsicht und fordern kurz darauf selbst zur Geldüberweisung auf!

Hat Dich sofort durchschaut: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Bilden Sie mal einen Satz mit Distanz

Der Stuntman soll vom Burgfried springen,
im Nahkampf drohen scharfe Klingen.
Da sagt er mutig: Jetzt mal ehrlich –
ich find Distanz viel zu gefährlich!

Patrick Fischer

 Parabel

Gib einem Mann einen Fisch, und du gibst ihm zu essen für einen Tag. Zeig ihm außerdem, wie man die Gräten entfernt, und er wird auch den folgenden Morgen erleben.

Wieland Schwanebeck

 Neulich

erwartete ich in der Zeit unter dem Titel »Glückwunsch, Braunlage!« eigentlich eine Ode auf den beschaulichen Luftkurort im Oberharz. Die kam aber nicht. Kein Wunder, wenn die Überschrift des Artikels eigentlich »Glückwunsch, Braunalge!« lautet!

Axel Schwacke

 Wenn beim Delegieren

schon wieder was schiefgeht, bin ich mit meinen Lakaien am Ende.

Fabio Kühnemuth

 Nichts aufm Kerbholz

Dass »jemanden Lügen strafen« eine doch sehr antiquierte Redewendung ist, wurde mir spätestens bewusst, als mir die Suchmaschine mitteilte, dass »lügen grundsätzlich nicht strafbar« sei.

Ronnie Zumbühl

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
25.04.2024 Köln, Comedia Max Goldt
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg