Humorkritik | August 2020

August 2020

If something is unintentionally funny, you ought to know.
If you intended it to be very serious and dramatic, but actually it’s funny, then you are in trouble.
Margaret Atwood

Können Vulven vitzig sein?

Wer die Fülle komischer Zeichnungen in Deutschland überblickt, weiß: Cartoons und Comicstrips, in denen der Penis eine zentrale Rolle spielt, gibt es eine Menge, von Walter Moers über Ernst Kahl bis Piero Masztalerz existiert nicht nur in diesem Magazin eine jahrzehntelange Tradition. Häufig entsteht die Pointe dabei durch Verwechslung (ein Mann hält seinen Penis für eine Bratwurst und legt ihn auf den Grill), populär ist aber auch die absichtliche Zweckentfremdung: »Ich markiere diese Seite mit meinem Lesezeichen-Schwanz«, ruft der Rattelschnecksche »Donkey Schotte« und wuchtet sein Gemächt zwischen zwei Buchseiten. Vielfach wird der Penis auch zum Gestaltwandler, mutiert zum Kaktus oder zum phallisch geformten Rennauto, oder er wechselt den Ort: lugt aus einer McDonald’s-Apfeltasche oder klemmt im Ausgabefach eines Geldautomaten. Dann wieder wird ihm übel mitgespielt: Er bricht ab, kriegt einen Klaps auf die Eichel oder wird mit der Schere halbiert. Auch tierische Penisse finden sich, sei es des Dobermanns Riesenschwengel, sei es der des masturbierenden Gorillas, und mitunter wird der Penis sogar vermenschlicht und damit selbst zum Handlungsträger: autonom, mit Händen, eine Sonnenbrille oder einen Wikingerhelm tragend, durch die Gegend torkelnd und dabei pfeifend, singend oder sprechend (»Ficken!«).

Grauenhafte, aber auch großartige Cartoons sind auf diese Weise entstanden. Nur eines macht mich dabei betrübt und lässt mich rätseln: Lustige Vulva-Cartoons gibt es nahezu nicht.

Warum ist das so? Ein Grund mag sein, dass der Penis ikonografisch verbreiteter ist, die Silhouette eingängiger. Die Vulva, also der sichtbare Teil des weiblichen Geschlechtsorgans, sei hingegen »schwierig zu zeichnen«, hörte ich bereits aus dem Munde von Cartoonisten, die übrigens zu 90 Prozent männlich sind – wohl auch ein Grund für die Penispräsenz. Die zeichnerische Komplexität scheint mir jedoch eine billige Ausrede zu sein: Wer einen Penis mit Sherlock-Holmes-Mütze zu zeichnen vermag, kann auch einer Vulva einen Strohhut aufsetzen. Dass diese mit wenigen Strichen als solche erkennbar ist, demonstriert einzig die US-Künstlerin Stephanie Sarley, die mit schwarzer Linie Vulven pinselt, zwischen den knallroten (Scham-)Lippen lässig eine Zigarette.

Der tiefere Grund für diese Abstinenz ist wahrscheinlich, dass die Vulva lange Zeit tabuisiert wurde und vielfach noch heute wird. Über einen Penis lässt sich’s anscheinend befreit lachen, Schamlippen gelten als zu intim. Dabei besitzt die Vulva dasselbe komische Potential wie ihr männlicher Kollege, etwa, was den Gestaltwandel betrifft: Die Klitoris kann sich um ein Vielfaches vergrößern, was die hübsche Möglichkeit böte, eine Comicfrau mit ihrer plötzlich zum Luftballon aufgeblähten Klitoris Zwiesprache halten zu lassen. Ebenso sind Verwechslungswitze drin: Optische Analogien zu einer Grillschnecke, einer Motte, einem offenen Portemonnaie oder Früchten lassen sich leicht herstellen, wie genannte Sarley mit ihren fotografierten »Vagina fruits« demonstriert. Auch tierische Vulven sind denkbar: masturbierende Gorillaweibchen oder Elefantenkühe mit gewaltigen Schamlippen, die über die afrikanische Steppe schleifen, massig wie die Ohren des Dumbo. Und auch die vermenschlichte Form böte sich an: Vulven mit Topffrisuren, Undercuts oder Vokuhilas, rauchend oder kiffend, schnurrbärtig oder vom Rasieren verpustelt. Sie hängen an Theken, schlürfen oder verputzen etwas, eine »Bloody Mary« oder ein Putensteak, denn wenn eine Vulva etwas gut kann, dann, sich etwas einzuverleiben. Oder zu schwadronieren, sehr viel einleuchtender übrigens als jeder Penis: größenwahnsinnige, betrunkene Vulven mit Bierhelm, die sagen, nein, brüllen: … Ach, was weiß denn ich, ich bin kein Cartoonist. Ich muss hier nicht alle Arbeit alleine machen. Auf feministische Vulva-Cartoons einer Franziska Becker, eines Til Mette oder Uli-Stein-Mäuse mit Vulven freue ich mich jedenfalls schon. Und wer, wie Ralph Ruthe, Penisse mit Staubsaugerrohren malträtieren kann, dem wird auch für die Vulva die eine oder andere amüsante Peinigung einfallen. Meine Damen und Herren Cartoonisten, übernehmen Sie!

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hallihallo, Michael Maar!

In unserem Märzheft 2010 mahnte ein »Brief an die Leser«: »Spannend ist ein Krimi oder ein Sportwettkampf.« Alles andere sei eben nicht »spannend«, der schlimmen dummen Sprachpraxis zum Trotz.

Der Literatur- ist ja immer auch Sprachkritiker, und 14 Jahre später haben Sie im SZ-Feuilleton eine »Warnung vor dem S-Wort« veröffentlicht und per Gastbeitrag »zur inflationären Verwendung eines Wörtchens« Stellung bezogen: »Nein, liebe Radiosprecher und Moderatorinnen. Es ist nicht S, wenn eine Regisseurin ein Bachmann-Stück mit drei Schauspielerinnen besetzt. Eine Diskussionsrunde über postmoderne Lyrik ist nicht S. Ein neu eingespieltes Oboenkonzert aus dem Barock ist nicht S.«

Super-S wird dagegen Ihr nächster fresher Beitrag im Jahr 2038: Das M-Wort ist ja man auch ganz schön dumm!

Massiv grüßt Sie Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Gute Frage, liebe »Süddeutsche«!

»Warum haben wir so viele Dinge und horten ständig weiter? Und wie wird man diese Gier wieder los?« teast Du Dein Magazin an, dasselbe, das einzig und allein als werbefreundliches Vierfarb-Umfeld für teuren Schnickschnack da ist.

Aber löblich, dass Du dieses für Dich ja heißeste aller Eisen anpackst und im Heft empfiehlst: »Man kann dem Kaufimpuls besser widerstehen, wenn man einen Schritt zurücktritt und sich fragt: Wer will, dass ich das haben will?«

Und das weiß niemand besser als Du und die Impulskundschaft von Titanic

 Weiter so, uruguayischer Künstler Pablo Atchugarry!

Eine angeblich von Ihnen geschaffene Bronzeskulptur im englischen Cambridge soll an Prinz Philip erinnern, der dort von 1977 bis 2011 Kanzler der Universität war. Allerdings wird das Kunstwerk, das im Auftrag eines reichen Bauträgers angefertigt wurde, von vielen als verunglückt empfunden und zieht seit nunmehr zehn Jahren Spott auf sich.

Dass Sie mittlerweile die Urheberschaft leugnen, um Ihr Renommee als Künstler zu schützen, ist zwar verständlich, aber aus unserer Sicht völlig unnötig. Wenn sich das Konzept durchsetzt, lästige Promis, die uns über Jahrzehnte viel Zeit, Geld und Nerven gekostet haben, mit langlebigen Schrott-Monumenten zu schmähen, werden Sie sich vor Aufträgen bald kaum noch retten können. Und das Beste: Weil andere Großkopferte sich mit ihren Eskapaden zurückhalten würden, um nicht von Ihnen verewigt zu werden, sorgten Sie auch noch für Ruhe und gesellschaftlichen Frieden.

Hofft, dass dieser Vorschlag einen Stein ins Rollen bringt: Titanic

 Ah, »Galileo«!

Über die Arbeit von Türsteher/innen berichtest Du: »Viele Frauen arbeiten sogar als Türsteherinnen«. Wir setzen noch einen drauf und behaupten: In dieser Branche sogar alle!

Schmeißen diese Erkenntnis einfach mal raus:

Deine Pointen-Bouncer von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Spielregeln

Am Ende einer Mensch-ärgere-dich-nicht-Partie fragt der demente Herr, ob er erst eine Sechs würfeln muss, wenn er zum Klo will.

Miriam Wurster

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Gebt ihnen einen Lebenszyklus!

Künstliche Pflanzen täuschen mir immer gekonnter Natürlichkeit vor. Was ihnen da aber noch fehlt, ist die Fähigkeit zu verwelken. Mein Vorschlag: Plastikpflanzen in verschiedenen Welkstadien, damit man sich das Naserümpfen der Gäste erspart und weiterhin nur dafür belächelt wird, dass man alle seine Zöglinge sterben lässt.

Michael Höfler

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
06.05.2024 Hannover, Pavillon Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
06.05.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
07.05.2024 Köln, Stadthalle Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
07.05.2024 Frankfurt am Main, Club Voltaire »TITANIC-Peak-Preview« mit Kathrin Hartmann