Humorkritik | Oktober 2019

Oktober 2019

Oh-he-ho, die Zeiten ändern sich / und ab heute wird wieder gelacht
Oh-he-ho, die Zeiten ändern sich / ja, ab heute wird wieder nach vorne gedacht
Jürgen Renfordt

Orangehumorig

Seit 2013 läuft auf Netflix die US-Serie »Orange Is The New Black«, mit der jüngst erschienenen siebten Staffel ist nun Schluss; Zeit, die als »Dramedy« gehandelte Serie auf ihren komischen Gehalt hin abzuklopfen. Die Handlung ist rasch erzählt: Piper, eine weiße, gutsituierte New Yorkerin, muss sich für einen früheren Fall von Drogenschmuggel verantworten und für ein Jahr ins Frauengefängnis. Dort trifft sie auf eine Vielzahl deutlich rauerer, vorwiegend nicht-weißer Frauen aus weniger privilegierten Verhältnissen – diverse Stereotype und ein wenig Sozialkitsch werden hier mitgeliefert. In den ersten Folgen die klare Protagonistin, gerät Piper mehr und mehr in den Hintergrund, was ein Glück ist, denn in der Serie tummeln sich deutlich komplexere und auch komischere Figuren: Spaßig etwa der Handlungsstrang um die Afroamerikanerin Cindy, die zum Judentum konvertiert, weil ihr das koschere Knastessen besser schmeckt, die trockenen Kommentare der russischstämmigen »Red« (»All problems are boring until they’re your own«) oder die zahllosen Frotzeleien während der Essensausgabe in der Gefängniskantine (»For here or to go?«).

Ob die für zahlreiche Comedy-Preise nominierte, amerikanische Sozial- und Gefängnisstandards anprangernde Serie wegen ihrer bitteren und traurigen Aspekte überhaupt komisch zu nennen sei, wurde öfter diskutiert. Ich möchte die Frage mit einem nicht gerade gefängnisslang-mäßigen »Yes, undoubtedly« beantworten. Denn warum soll etwas Schmerzhaftes, bisweilen Verstörendes (Mutter-Kind-Trennungen, Abschiebungen nach Mittelamerika) nicht auch gleichzeitig hochkomisch sein? Viel schwarzen (oder sollte ich sagen: orangefarbenen) Humor beweist zum Beispiel jene Szene, in der eine Insassin eine Trauerfeier für ihre gerade an Crack verstorbene Mitinsassin plant: Im Gedenken an die Tote möchte sie etwas singen und stimmt, weil ihr kein anderer Text einfällt, »Give me a Mountain Dew« an, einen Werbesong für Limonade.

Komikgeschichtlich erwähnenswert ist aber auch noch etwas anderes: Die Serie besteht fast nur aus weiblichen Figuren, und zwar Dutzenden. In diesem nahezu rein weiblichen Kosmos besetzen über 40 Darstellerinnen die gesamte Palette menschlicher und damit auch komischer Verhaltensweisen, von zaghaft witzelnd bis extrem derb. Falls noch jemand der Ansicht sein sollte, Frauen könnten nicht komisch agieren oder lediglich in bestimmten Spielarten (überdreht / selbstironisch-versöhnlich), wird er hier von einer ganzen Armada scherzender, furzender oder auf die tote Mutter eines Wärters fluchender Damen widerlegt. Drehbuchidee und Produktion stammen übrigens aus der Hand von Jenji Kohan, gleichfalls verantwortlich für die Frauenwrestling-Serie »Glow«, die ich hier (TITANIC 9/2017) bereits loben durfte.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Könnte es sein, »ARD-Deutschlandtrend«,

dass Dein Umfrageergebnis »Mehrheit sieht den Frieden in Europa bedroht« damit zusammenhängt, dass seit über zwei Jahren ein Krieg in Europa stattfindet?

Nur so eine Vermutung von Titanic

 Verehrte Joyce Carol Oates,

da Sie seit den Sechzigern beinah im Jahrestakt neue Bücher veröffentlichen, die auch noch in zahlreiche Sprachen übersetzt werden, kommen Sie vermutlich nicht dazu, jeden Verlagstext persönlich abzusegnen. Vielleicht können Sie uns dennoch mit ein paar Deutungsangeboten aushelfen, denn uns will ums Verrecken nicht einfallen, was der deutsche Ecco-Verlag im Sinn hatte, als er Ihren neuen Roman wie folgt bewarb: »›Babysitter‹ ist ein niederschmetternd beeindruckendes Buch, ein schonungsloses Porträt des Amerikas der oberen Mittelschicht sowie ein entlarvender Blick auf die etablierten Rollen der Frau. Oates gelingt es, all dies zu einem unglaublichen Pageturner zu formen. In den späten 1970ern treffen in Detroit und seinen Vorstädten verschiedene Leben aufeinander«, darunter »eine rätselhafte Figur an der Peripherie der Elite Detroits, der bisher jeglicher Vergeltung entkam«.

Bitte helfen Sie uns, Joyce Carol Oates – wer genau ist ›der Figur‹, dem es die elitären Peripherien angetan haben? Tragen die Leben beim Aufeinandertreffen Helme? Wie müssen wir uns ein Porträt vorstellen, das zugleich ein Blick ist? Wird das wehtun, wenn uns Ihr Buch erst niederschmettert, um dann noch Eindrücke auf uns zu hinterlassen? Und wie ist es Ihnen gelungen, aus dem unappetitlich plattgedrückten Matsch zu guter Letzt noch einen »Pageturner« zu formen?

Wartet lieber aufs nächste Buch: Titanic

 Ach, Scheuer-Andi,

wie der Spiegel meldet, wird niemand für Sie in den Bundestag nachrücken. Da scheinen die Fußstapfen wohl einfach zu groß zu sein.

Die Besten gehen immer zu früh …

Weiß Titanic

 Clever, »Brigitte«!

Du lockst mit der Überschrift »Fünf typische Probleme intelligenter Menschen«, und wir sind blöd genug, um draufzuklicken. Wir lernen, dass klug ist: wer mehr denkt, als er spricht, wer sich ungeschickt im Smalltalk anstellt, wer sich im Job schnell langweilt, wer sich mit Entscheidungen schwertut, wer bei Streit den Kürzeren zieht und wer ständig von Selbstzweifeln geplagt wird.

Frustriert stellen wir fest, dass eigentlich nichts von alledem auf uns zutrifft. Und als die Schwachköpfe, die wir nun einmal sind, trauen wir uns fast gar nicht, Dich, liebe Brigitte, zu fragen: Waren das jetzt nicht insgesamt sechs Probleme?

Ungezählte Grüße von Deiner Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Vom Feeling her

Es hat keinen Sinn, vor seinen Gefühlen wegzulaufen. Man muss sich schon auch mal hinter einem Baum verstecken und warten, dass die das nicht merken und an einem vorbeiziehen, sonst bringt das ja alles nichts.

Loreen Bauer

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Citation needed

Neulich musste ich im Traum etwas bei Wikipedia nachschlagen. So ähnlich, wie unter »Trivia« oft Pub-Quiz-Wissen gesammelt wird, gab es da auf jeder Seite einen Abschnitt namens »Calia«, voll mit albernen und offensichtlich ausgedachten Zusatzinformationen. Dank Traum-Latinum wusste ich sofort: Na klar, »Calia« kommt von »Kohl«, das sind alles Verkohl-Facts! Ich wunderte mich noch, wo so ein Quatsch nun wieder herkommt, wusste beim Aufwachen aber gleich, unter welcher Kategorie ich das alles ins Traumtagebuch schreiben konnte.

Alexander Grupe

 Die wahre Strafe

Verhaftet zu werden und in der Folge einen Telefonanruf tätigen zu müssen.

Fabio Kühnemuth

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg