Humorkritik | Oktober 2019

Oktober 2019

Oh-he-ho, die Zeiten ändern sich / und ab heute wird wieder gelacht
Oh-he-ho, die Zeiten ändern sich / ja, ab heute wird wieder nach vorne gedacht
Jürgen Renfordt

Goethe und Schüler

Keine Überraschung: dass mir von einem komisch gemeinten Buch, das im Untertitel nicht nur mit Goethe, sondern auch noch mit Schiller prunkt (Christian Tielmann: »Unsterblichkeit ist auch keine Lösung. Ein Goethe-Schiller-Desaster«, DTV), eine den Großdichtern adäquate Sprachparodie vorenthalten wird; wobei es Ansichtssache ist, ob man dem Autor Tielmann eher das phrasenhaft Hochtrabende übelnehmen will (»Goethes Hals zog sich zusammen. Das war sicherlich der Gesundung von der Heiserkeit nicht zuträglich«), die grammatisch falsche Altertümeley (»Ihm war ein tiefes Gefühl verlustig gegangen«) oder die lawinös verrutschten Sprachbilder (etwa ein »Vorwurf im Blick«, der Goethe »irgendwie an einer Stelle traf, auf die sich ein Lindenblatt gelegt haben musste, als er seine Seele im heißen Blut seines Genius gebadet hatte«).

Dass mir das Buch dennoch Spaß gemacht hat, ist hingegen durchaus eine Überraschung. Weshalb ich die mitunter rumplige Sprache Goethes weit fortgeschrittenem Alter gnädig zuzuschreiben geneigt bin. Er und Schiller sind schließlich, weil unsterblich, weit über 250 Jahre alt: Von ihrem Verlag auf eine Lesetour durch die deutsche Provinz der Gegenwart geschickt, müssen sie Reclam-Heftchen signieren und sich mit smartphonesüchtigen Schülergruppen herumärgern. Wobei der komische Hauptkonflikt aus Goethes ständigem Neid auf Schiller besteht: Der Jüngere kommt viel besser an, schleimt sich mit improvisiertem Fantasy-Schund in die Herzen des Publikums und ist auch bei der die Tour begleitenden Buchhändlerin weitaus erfolgreicher. Das wurmt Goethe, der seit langem nichts mehr geschrieben hat und statt mit literarischen Dingen mit seiner Libido und dem aus Denkmalschutzgründen problematischen Umbau seines Hauses am Frauenplan beschäftigt ist. Noch besser, ja am besten gefiel mir die Idee, dem korrupten Dichter eine Dienstwagenaffäre (!) anzudichten. So, möchte ich den jungen Grashüpfern von der »Neuen Frankfurter Hauptschule« (siehe unten) zurufen, holt man einen Überklassiker vom Sockel.

Mit den Besonderheiten der Unsterblichkeit – warum leben Goethe und Schiller, Verleger Cotta und Goethes Frau Christiane, wohingegen Heine, Shakespeare und Kant schon lange tot sind? – plagt sich das Buch indes nicht über Gebühr: »Wann immer wir zitiert oder erwähnt werden«, vermutet Schiller als Grund, »wann immer unsere Stücke gespielt und unsere Aufsätze verstanden werden, stärkt das unseren Geist, und der stärkt unsere lächerlichen Körper. Was halten Sie davon?« Wenig, denkt Goethe, denn: »Wenn Schillers Erklärung stimmen würde, dann müsste seine Christiane ja ständig von irgendwem zitiert werden – aber mit welchem Spruch? Außer ›Räum deinen Mist auf, du Genie!‹ fiel ihm da nichts ein.«

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Bonjour, Marine Le Pen!

Bonjour, Marine Le Pen!

Das Potsdamer Treffen der AfD mit anderen extremen Rechten war selbst Ihnen zu heftig: Sie seien nie für eine »Remigration« in dem Sinne gewesen, dass Französinnen und Franzosen ihre Nationalität entzogen würde, selbst wenn die Einbürgerung unter fragwürdigen Bedingungen geschehen sei, meinten Sie und fügten hinzu: »Ich denke also, dass wir, wenn es denn so ist, eine krasse Meinungsverschiedenheit mit der AfD haben.«

Keine Ahnung, Le Pen, ob Sie mit dieser Haltung eine Chance aufs französische Präsidentenamt haben. Ministerpräsidentin von Thüringen würden Sie mit diesem Weichei-Schlingerkurs aber ganz sicher nicht!

Schon ein bisschen enttäuscht: Titanic

 Na, na, na, welt.de!

»Warum ›Barbie‹ klüger ist als alle anderen nominierten Filme zusammen«, titeltest Du in Deinem Feuilleton bezüglich der diesjährigen Oscar-Kandidaten. Allein: Wir haben noch mal den Taschenrechner gezückt, und wenn man auch die Dokumentar-, Kurz- und Dokumentarkurzfilme berücksichtigt, sind alle anderen nominierten Filme zusammen exakt 1,76 Klugheitspunkte klüger als »Barbie«.

Welches Medium dümmer ist als alle anderen Medien zusammen, braucht hingegen nicht nachzurechnen: Titanic

 Moin, Hamburger Craft-Brauerei ÜberQuell!

Dein Firmenname zeugt ja bereits von überschäumender Wortspiellust, aber so richtig freidrehend auf die Kacke haust Du erst bei den Bezeichnungen Deiner einzelnen Biersorten: Die heißen nämlich zum Beispiel »Supadupa IPA«, »Palim Palim Pale Ale«, »Pille Palle Alkoholfreies Ale« oder sogar »Franzbrewtchen Imperial Pastry Brown Ale«. Auweia!

Gerade bei Letzterem, das außerhalb Hamburgs von vielen gar nicht zu entschlüsseln sein dürfte, mussten wir, obschon viel gewohnt, dann doch schlucken, weil uns allein der Name innerhalb von Sekunden pappsatt und sturzbetrunken machte. Er erschien uns einfach zu brewtal, fast schon brauenhaft! Auf Dein Bier haben wir dann lieber verzichtet.

Aus der Ausnüchterungszelle grüßt trotzdem: Titanic

 Dir, Tod,

gefiel es im Jahr 2010, im Abstand von einem Tag Bärbel Bohley (11. September) und Claude Chabrol (12. September) abzuberufen, worauf wir damals in unserer Online-Rubrik »Fakt vs. Frage« scharfsinnig spekulierten, als Nächstes treffe es nun wohl Dieter Dehm, Erhard Eppler und Frank Farian. Knapp daneben! Denn Frank Farian holtest Du erst dieses Jahr, am 23. Januar – nicht ohne vorher noch die Büchnerpreisträgerin Elke Erb (22. Januar) abzuräumen.

Und langsam durchschauen wir Dich, Gevatter: A darf leben, B und C müssen sterben; D darf leben, E und F müssen sterben …

Um es kurz zu machen: Gundula Gause ist, trotz ihres boulevardmedial großflächig breitgetretenen Schwächeanfalls vom Dezember (Bild: »total unnötig«, »hätte mich krankmelden sollen«), fürs Erste fein raus, während Heimatsänger Hansi Hinterseer und Malertochter Ida Immendorff sich lieber schon mal das letzte Hemd anziehen sollten. Stimmt’s?

Gruselt sich vor der Antwort: Titanic

 Einfach mal kreativ sein, Rishi Sunak!

Der BBC sagten Sie: »Ich bin nicht sicher, ob sich die Leute so sehr für meine Ernährung interessieren, aber ich versuche, zu Beginn jeder Woche etwas zu fasten.« Wir glauben, dass Ihre Unsicherheit berechtigt ist: An Ihren Beliebtheitswerten kann man ablesen, dass sich das Interesse an Ihren Gewohnheiten in Grenzen hält.

Das ließe sich aber leicht ändern: Bei den ganzen verschiedenen Varianten wie TV-, Auto- und Plastikfasten gäbe es bestimmt auch für Sie etwas, durch das Sie die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit »eight days a week« auf sich zögen. Wie wäre es z. B. mit Abschiebungsfasten, Verbrennerverbotverzögerungsfasten oder Zweiteamtszeitfasten?

Nur dass Sie gerade beim Thema »Neuwahlen« dem Verzicht huldigen, sollten Sie nach Ansicht der Mehrheit Ihrer Landsleute schleunigst ändern. Zwischendurch kann man sich doch auch ruhig mal was gönnen, oder?

Mampft Ihre Scones mit Clotted Cream und reichlich Marmelade gleich mit: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Authentisch

Jedes Mal, wenn mir ein bekennender Feinschmecker erklären will, wie aufwendig ein echt italienisches Risotto zubereitet gehört, habe ich das Gefühl, es würde stundenlang um den heißen Brei herumgeredet!

Mark-Stefan Tietze

 Nach Explosion in der Molkerei

Alles in Butter.

Loreen Bauer

 Und das Brot erst!

Einen Krankenwagen rufen, ohne sich in Schulden zu stürzen, mehr Urlaubs- als Arbeitstage, Bier zum Frühstück: Deutschland ist toll. Mit solchen Takes können US-amerikanische Influencerinnen hierzulande natürlich punkten. Aber betreiben sie damit nicht einfach nur billiges Kraut-Pleasing?

Alexander Grupe

 Pandemisches Passionsspiel

Die Erfahrungen aus der Coronazeit wirken teils immer noch nach. So fragt man sich heute bei der Ostergeschichte: Hat Pontius Pilatus, als er seine Hände in Unschuld wusch, dabei zweimal »Happy Birthday« gesungen?

Jürgen Miedl

 Lauf, Junge!

Die Ordner bei einem Fußballspiel würden sich wesentlich mehr Mühe geben, wenn sie bei der Jagd nach dem Flitzer auch nackt sein müssten.

Rick Nikolaizig

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
21.03.2024 Bamberg, Konzerthalle Martin Sonneborn
21.03.2024 Hamburg, Centralkomitee Ella Carina Werner
22.03.2024 Bayreuth, Zentrum Martin Sonneborn
22.03.2024 Winterthur, Bistro Alte Kaserne »Der Unsinn des Lebens« mit Pause ohne Ende