Humorkritik | November 2019

November 2019

Ich komme nicht bewaffnet mit entscheidenden Wahrheiten. Mein Bewusstsein ist nicht von bedeutsamen Lichtblitzen durchzuckt. Gleichwohl meine ich, in aller Heiterkeit, dass es gut wäre, wenn einige Dinge gesagt würden.
Frantz Fanon

Talken ohne Ende

Ein schöner Gedanke, mit dem der junge Autor Oliver Weber in sein kurzes, kluges Traktat »Talkshows hassen« einsteigt: »Wie sähe wohl eine Diskussionsrunde aus, in der die großen politischen Talkshows des Landes ihr eigenes Format zum Thema machen würden?« Die naheliegende Pointe, dass wohl Stille herrschen müsste, weil vor lauter Sichausredenlassen keiner der Talkmaster dazu käme, etwas zu sagen, entgeht ihm leider; ansonsten aber zeigt sich das Lamento Webers durchaus paradoxie- und damit komikbewusst: »Irrelevanz« bei »maximaler Relevanzsuggestion« wird da diagnostiziert, eine Dringlichkeits- und Krisenrhetorik, die mit einem »irritationsresistenten« Sendekonzept und einer »Personenlogik« à la »Talkshow-WG« kontrastiert wird und damit der Inszenierung von Soap-Operas gleicht; mit dem »Nimbus der Unhintergehbarkeit« versehene Themenzuspitzungen, deren polarisierende Wirkung nachher heuchlerisch beweint wird.

Der stärkste Abschnitt erzählt von einer Episode des bekannten Wirklichkeitsspektakels »Wie das Bürgertum wieder einmal die Wucht seiner eigenen Ideologieapparate unterschätzte und von ihr überrollt oder mitgerissen wurde«. In diesem Fall geht es um das unter Helmut Kohl eingeführte Privatfernsehen und den Aufstieg der AfD. Immer marktförmigere Gestaltung auch öffentlich-rechtlicher Gesprächsformate habe in den Nullerjahren die Sendestruktur »technokratische Politiker« versus »der Talkshowmoderator als Anwalt der Leute da draußen« durchgesetzt, also »ihr gegen uns«, die AfD musste rhetorisch bloß die Stelle des »uns« einnehmen und den zahlreichen Einladungen skandalwütiger Shows folgen. Eine Partei, deren Diskurs nicht auf Kommunikation angelegt ist, sondern auf ihre Simulation, feiert ihre größten strategischen Erfolge in Formaten öffentlich zelebrierter Kommunikation: wieder eine Paradoxie, könnte man meinen; vielleicht nur eine scheinbare (so meine ich).

Die Hoffnung auf Unterhaltung, Überraschung, Streit drückt Oliver Weber, geschult am großen Mit-Rechten-Reder Daniel-Pascal Zorn, mitunter etwas unbeholfen aus: »Wer diskutiert, erkennt den anderen als postulativ Gleichwertigen an«. Und ob die von ihm beschworene Kraft des »Meinungsaustauschs« im Kapitalismus mehr als eine notwendige Illusion sein kann, mag mit Recht bezweifelt werden, sofern man sich nicht, wie es Weber letztlich seinem Kritikobjekt gleichtut, in den Elfenbeinturm bürgerlicher Neutralität zurückzieht. Aber bevor ich mich hier noch in Verelendungstheorien stürze, will ich mit Weber auf das hohe Durchschnittsalter der Talkzuschauer hinweisen, das zwei Lesarten erlaubt, eine nüchtern, eine hoffnungsfroh: 1) alle jetzt Jungen werden, sobald alt, auch einmal passives Plasberg-Will-Maischberger-Konsumvieh, 2) das Publikum stirbt und die Moderatoren mit ihm.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Heda, »FAZ«

»Schlechte Politik verhindert Fortschritt« – das stimmt. Aber ist das nicht haargenau die Politik, für die Du immer trommelst?

Fragt schlecht und recht Titanic

 Puh, »Frankfurter Rundschau«!

»Während im Süden Europas weiter enorme Hitze herrscht, sorgt ein kurzweiliges Tief in Deutschland für eine Abkühlung.« Es bleibt aber dabei: Die Tiefs sorgen für Abkühlung, und für die Kurzweil sorgen Deine Sprachkapriolen. Nicht durcheinanderbringen!

Warm grüßt Titanic

 Moin, »Spiegel«!

Bei dem Artikel »Wir gegen uns« wussten wir nach dem Artikelvorspann »Die linksextreme Szene in Deutschland hat einen neuen Gegner: sich selbst« schon, dass da nichts Kluges drinstehen kann. Die Linke sich selbst ein »neuer Gegner«? Da drehen sich aber so einige vor Lachen im Grabe um.

Nicht ganz so geschichtsvergessen: Titanic

 Drama, Reinhold Messner!

»Ich stand am Abgrund«, beklagten Sie sich in einem Interview mit der Apotheken-Umschau über den anhaltenden Erbschaftsstreit in Ihrer Familie. Nachdem Sie den vier Kindern bereits vor Ihrem Tod testamentarisch einen Großteil des Messner’schen Vermögens überlassen hätten, sei es nur noch darum gegangen, wer mehr bekommen habe, und daran sei Ihre Familie letztlich zerbrochen. Ach, kommen Sie, Messner! Dass Sie den Mitgliedern Ihres Clans je nach Grad der väterlichen Zuneigung tatsächlich unterschiedlich große Geldbündel zugeworfen und dann dabei zugesehen haben, wie sich Ihr Nachwuchs um die Differenz kloppt, war für Sie alten Adrenalinjunkie doch bestimmt ähnlich vergnüglich wie eine Achttausenderbesteigung!

Sieht das sogar vom Fuße des Bergs der Erkenntnis aus: Titanic

 Eine dicke Nuss, »ZDF heute«,

hast Du uns da zu rechnen gegeben: »Die Summe aus sinkenden Ticketverkäufen und gestiegenen Kosten« führe dazu, dass Festivals heutzutage meist ein »Minusgeschäft« seien.

Also wenn man die Ticketverkäufe und die gestiegenen Kosten addiert, wie man es ja in der Erstsemester-BWL-Vorlesung gelernt hat, und davon ausgeht, dass die Ticketverkäufe trotz Flaute größer als Null bleiben und auch die Kosten eine positive Zahl bilden, die Summe entsprechend ebenfalls positiv bleibt (und kein »Minusgeschäft« ergeben kann), dann müsste das Ergebnis doch sein … hmm … ja, genau: dass Du wirklich keine Ahnung von Mathe hast.

Aber mach Dir nichts draus, dafür hast Du ja Deine Zählsorger/innen von Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Europa aphrodisiakt zurück

Wenn es hierzulande etwas im Überfluss gibt, dann verkalkte Senioren und hölzerne Greise. Warum also nicht etwas Sinnvolles mit ihnen anfangen, sie zu Pulver zerreiben und in China an Tiger gegen Schlaffheit der Genitalien verkaufen?

Theobald Fuchs

 SB-Kassen

Zu den Seligen, die an Selbstbedienungskassen den Laden kaltblütig übervorteilen, gehöre ich nicht. Im Gegenteil, obwohl ich penibel alle Artikel scanne und bezahle, passiere ich die Diebstahlsicherungsanlage am Ausgang immer in der angespannten Erwartung, dass sie Alarm schlagen könnte. Neulich im Discounter kam beim Griff zu einer Eierschachtel eine neue Ungewissheit hinzu: Muss ich die Schachtel vor dem Scannen wie eine professionelle Kassierkraft öffnen, um zu kucken, ob beim Eierkauf alles mit rechten Dingen zugeht?

Andreas Maria Lugauer

 Unwirtliche Orte …

… sind die ohne Kneipe.

Günter Flott

 Fachmann fürs Leben

Im Gegensatz zur Schule hat man im Zivildienst viele nützliche Dinge gelernt. Zum Beispiel, dass man die Körper von Menschen, die sich selbst nicht mehr bewegen können, regelmäßig umlagert, damit keine Seite wund wird. Um anhaltenden Druck auf die Haut zu minimieren, wende ich auch heute noch die Pfirsiche in der Obstschale alle paar Stunden.

Friedrich Krautzberger

 Hybris 101

Facebook und Instagram, die bekanntesten Ausgeburten des Konzerns Meta, speisen seit kurzem auch private Daten ihrer Nutzer in die Meta-eigene KI ein. Erst wollte ich in den Einstellungen widersprechen, aber dann dachte ich: Ein bisschen Ich täte der KI schon ganz gut.

Karl Franz

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

  • 12.09.:

    "Heute detoxe ich im Manager-Retreat im Taunus": TITANIC-Chefredakteurin Julia Mateus im Interview mit dem Medieninsider.

Titanic unterwegs
13.09.2024 Stade, Schwedenspeicher Ella Carina Werner
14.09.2024 Frankfurt, Museum für Komische Kunst Bernd Pfarr: »Knochenzart«
16.09.2024 Wiedensahl, Wilhelm-Busch-Geburtshaus Hilke Raddatz mit Tillmann Prüfer
17.09.2024 Stadthagen, Wilhelm-Busch-Gymnasium Wilhelm-Busch-Preis Hilke Raddatz mit Bernd Eilert