Humorkritik | Mai 2019

Mai 2019

Die hochstaplerische Performance ist ein ernstes Geschäft, da darf man sich nicht plötzlich von außen betrachten und das Absurde der Situation wahrnehmen. Das ist wie beim Sex, da darf man auch nicht lachen, dann ist es vorbei
Hans-Ludwig Kröber

Taktlos in Cambridge

Am 18. Februar 1989 schreibt Gustav Seibt in der »Frankfurter Allgemeinen« über Eckhard Henscheids »Maria Schnee«: »Dass der Mensch, insoweit er redet und redend sich von seiner wahrhaftigen Kreatürlichkeit entfernt, unselig ist – das ist als Philosophie vielleicht nicht einmal besonders spektakulär. Freilich ist es ein bedeutendes Motiv für einen Satiriker, der wie kein anderer der heute Schreibenden der Lüge, den falschen Tonfällen, den angemaßten Bedeutungen einer zunehmend durchgedrehten Öffentlichkeit auf der Spur ist.« Henscheids Erzählen sei »der melancholischen und unendlich liebevoll geduldigen Suche nach den Resten (des) aussterbenden Lebens gewidmet« und erstrebe »nichts Geringeres …, als das vorbegriffliche Leben, das von Sprache meist zerstört wird, in der Sprache hörbar zu machen«.

Ziemlich genau 30 Jahre später lobt derselbe Seibt, längst bei der SZ, Emanuel Maeß’ Roman »Gelenke des Lichts« (Wallstein), und zwar unter Verweis auf Henscheids im »Eichendorff-Ton« gehaltene Idylle, die im Zonenrandgebiet der alten Bundesrepublik spielte, während der Roman des Jüngeren, 1977 in der frühromantischen Hauptstadt Jena Geborenen wie gespiegelt in der Sperrzone der DDR seinen Ausgang nimmt und »den romantischen Ton auf(greift), und siehe: Es geht.« Am selben Tag gehen Julia Encke in wiederum der FAZ ganz allgemein »der hohe Ton, die angestrengte Wortwahl, der prätentiöse Bildungsprotz so mancher Neuerscheinungen« auf den Zeiger, und sie beklagt »einen Stil, der nur von Ehrgeiz und Eitelkeit zeugt«.

Da sind wir Maeß und seinem lt. Umschlag »Zauberhybriden aus Bildungs-, Schelmen- und Campusroman« schon eher auf der Spur; denn wo Freund Henscheid das Romantische in einer »unvergleichlichen Leistung künstlerischen Takts« (Seibt 1989) evoziert und taktvoll auf seinen Kern bringt (wenn auch nicht im Eichendorff-Ton, sondern freilich seinem eigenen), wird es von Maeß – Studium in Heidelberg, Wien, Oxford – bloß inszeniert, um Kritiker zu begeistern, die auf prätentiösen Bildungsprotz stehen, zumal solche, die sich Romantik still mit »deutsch« übersetzen. Maeß’ Anverwandlung des romantischen Duktus, ein beneidenswerter Einfall eigentlich, geht eine ganze Weile auf, wo ein bildungsbürgerlicher Jüngling im toten, glücklich beschränkten Winkel der DDR aufwächst; sie geht noch an, als der Jüngling nach, sic, Heidelberg zum Studieren zieht; sie wird mählich unerträglich, wo es über Berlin nach Cambridge geht und man Zeuge einer schweren und immer schwereren Kopfgeburt werden muss. Und das Leben unterm ehrgeizig-eitlen Begriff zum Stillstand kommt: »Prosa, die wie ausgedacht klingt für Feuilletonredakteure, mit möglichst viel Hochkultur im Gepäck, in einem hohen Ton, der in Wirklichkeit alles gleichmacht« (Encke).

Zum Vergleich mag die zentrale Stelle in »Maria Schnee« dienen, wo ein schlichter Mann in Eichendorffscher Sommernacht auf einer Provinzbrücke verweilt und sich, im Dialekt, der Sprache der Tiere nähert: »Antn! Broooove Antn!« Dagegen Maeß, dessen Erzähler sich in Cambridge mal wieder seine informierten Gedanken macht: »Lächelnd gurgelte der Bach. Wollte er mir nahelegen, sich seinen Strömungseigenschaften öfter anzugleichen und das arme Zeug zu transzendieren, das Müdigkeit, Kant und Konstruktivismus aus uns gemacht hatte? … Erst nach Abglühen der letzten abendlichen Kolorite kehrte ich heim, meist ziemlich hungrig, weil ich in Momenten der hohen Schau oft das Essen vergaß.« Kann sein, das ist romantische Ironie (heute: Dekonstruktion), und kann weiter sein, dass hier einer wirklich gut Bescheid weiß. Aber Bescheidwissen ist, soll etwas Kunst werden, fruchtlos, wenn sich das Zauberwort nicht einstellt, vermöge dessen sich leblose bildungsbürgerliche Immanenz transzendieren ließe, die noch als ironische immer bloß bei sich bleibt. Und sich als solche, möglich wär’s, schon längst nicht mehr erkennen will.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

Empfehlen Deine Blättchenfreund/innen von Titanic

 Du, »Hörzu Wissen«,

weißt, wie Werbung geht! Mit »Die Sucht zu töten« machtest Du so richtig Lust auf Deine aktuelle Ausgabe, um erläuternd nachzulegen: »Bestialisch, sadistisch, rätselhaft: Was Menschen zu mordenden Monstern macht – acht Täter und die Geschichten ihrer grausamen Verbrechen.«

Wer kann sich da der Faszination der »dunklen Welt der Serienkiller« noch entziehen? Aber am Ende, liebe Hörzu Wissen, ist in diesem Zusammenhang doch die Implikation Deines Slogans »Hörzu Wissen – das Magazin, das schlauer macht!« das Allergruseligste!

Da erschauert sogar

Die True-Crime-resistente Redaktion der Titanic

 Hej, Gifflar!

Du bist das Zimtgebäck eines schwedischen Backwarenherstellers und möchtest mit einer Plakatkampagne den deutschen Markt aufrollen. Doch so sehr wir es begrüßen, wenn nicht mehr allein Köttbullar, Surströmming und Ikeas Hotdogs die schwedische Küche repräsentieren, so tief bedauern wir, dass Du mit Deinem Slogan alte Klischees reproduzierst: »Eine Schnecke voll Glück«? Willst Du denn für alle Ewigkeiten dem Stereotyp der schwedischen Langsamkeit hinterherkriechen? Als regierten dort immer noch Sozialdemokraten, Volvo und Schwedenpornos?

Damit wirst Du nie der Lieblingssnack der Metropolenjugend!

Sagen Dir Deine Zimt- und Zuckerschnecken von Titanic

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Warum, Internet?

Täglich ermöglichst Du Meldungen wie diese: »›Problematisch‹: Autofahrern droht Spritpreis-Hammer – ADAC beobachtet Teuer-Trend« (infranken.de).

Warum greifst Du da nicht ein? Du kennst doch jene Unsichtbar-Hand, die alles zum Kapitalismus-Besten regelt? Du weißt doch selbst davon zu berichten, dass Millionen Auto-Süchtige mit Dauer-Brummbrumm in ihren Monster-Karren Städte und Länder terrorisieren und zum Klima-Garaus beitragen? Und eine Lobby-Organisation für Immer-Mehr-Verbrauch Höher-Preise erst verursacht?

Wo genau ist eigentlich das Verständlich-Problem?

Rätselt Deine alte Skeptisch-Tante Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

 Dual Use

Seit ich meine In-Ear-Kopfhörer zugleich zum Musikhören und als Wattestäbchen verwende, stört es mich gar nicht mehr, wenn beim Herausnehmen der Ohrstöpsel in der Bahn getrocknete Schmalzbröckelchen rauspurzeln.

Ingo Krämer

 100 % Maxx Dad Pow(d)er

Als leidenschaftlicher Kraftsportler wünsche ich mir, dass meine Asche eines Tages in einer dieser riesigen Proteinpulverdosen aufbewahrt wird. Auf dem Kaminsims stehend, soll sie an mich erinnern. Und meinen Nachkommen irgendwann einen köstlichen Shake bieten.

Leo Riegel

 Altersspezifisch

Ich gehöre noch zu einer Generation, deren Sätze zu häufig mit »Ich gehöre noch zu einer Generation« anfangen.

Andreas Maier

 Konsequent

Die Welt steckt in der Spermakrise. Anzahl und Qualität der wuseligen Eileiter-Flitzer nehmen rapide ab. Schon in wenigen Jahren könnten Männer ihre Zeugungsfähigkeit vollständig verlieren. Grund hierfür sind die Verkaufsschlager aus den Laboren westlicher Großkonzerne. Diese Produkte machen den Schädling platt, das Plastik weich und das Braterlebnis fettfrei und wundersam. Erfunden wurden diese chemischen Erfolgsverbindungen von – Überraschung – Y-Chromosom-Trägern. Toll, dass sich Männer am Ende doch an der Empfängnisverhütung beteiligen.

Teresa Habild

Vermischtes

Erweitern

Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.05.2024 Mettingen, Schultenhof Thomas Gsella
03.05.2024 Stuttgart, Im Wizemann Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
04.05.2024 Gütersloh, Die Weberei Thomas Gsella
04.05.2024 Jena, F-Haus Martin Sonneborn mit Sibylle Berg