Humorkritik | Mai 2019

Mai 2019

Die hochstaplerische Performance ist ein ernstes Geschäft, da darf man sich nicht plötzlich von außen betrachten und das Absurde der Situation wahrnehmen. Das ist wie beim Sex, da darf man auch nicht lachen, dann ist es vorbei
Hans-Ludwig Kröber

Dummer Bum

Genies in Filmen sind heikel, weil sie meinen guten Glauben strapazieren. Walter Matthau als Einstein mag angehen, weil Einsteins Genialität außerhalb des betreffenden Films bewiesen ist; will mir ein Drehbuch aber einen Originalcharakter als Genie andrehen, lege ich automatisch die Ohren an und gehe in skeptische Abwehrhaltung. Denn wie spielt man Genialität? In der Regel bloß durch Exzentrik; derzeit gut zu beobachten in Harmony Korines Film »Beach Bum«.

Hier heißt das (Literatur-)Genie Moondog. Es verlebt, versäuft und vervögelt trotz des immensen Reichtums seiner Gattin Minnie seine Tage am Strand. Viel Mühe wird aufgewendet, mich von seiner Genialität zu überzeugen: »Deine Worte waren einmal so radikal!« sagt der Literaturagent beim Golfspielen, und »We love you, Moondog!« kreischen die alten Fans, auch wenn Moondog selbst außer Baudelaire und einem geklauten Absatz von D.H. Lawrence nur rührende Gedichte über den eigenen Penis vorzutragen weiß, »der heute schon zweimal in dir drin war«.

Macht aber nichts, denn die Geniebehauptung dient diesem Film ohnehin nur als Ausrede, eineinhalb Stunden lang die Sau auszuführen. Es wird besoffen mit dem Auto gerast, herumgeballert, der Papagei mit Koks gefüttert und die Katze mit Bier, dass es eine Art hat und der kleinbürgerliche Zuseher feuchte Träume bekommt. Als Moondogs eher biedere Tochter heiraten will, deutet sich ein Generationenkonflikt an, versandet aber wieder; Moondog kehrt zur Hochzeitsfeier in die eheliche Villa zurück (»Ich hab vergessen, wie reich wir sind!«), schwimmt vollbekleidet im Pool und greift dem künftigen Schwiegersohn an die Genitalien. Alles in diesem Film feiert die Freiheit – allerdings stets die des Stärkeren, die gut gepolsterte Subversion derer, die sich leisten können, rücksichtslos zu sein. Immerhin fällt für die Putzfrau hin und wieder ein Knutscher ab und für den Poolboy Gras, der Trickle-Down-Effekt funktioniert also, und wenn es eine amoralische Schrecksekunde lang ernst wird und jemand einen Rollstuhlfahrer ausraubt, will Moondog zwar »mit so einer schäbigen Nummer nichts zu tun haben« – gleich darauf ist aber alles wieder gut und vergessen, denn eine neue Party will gefeiert werden, und dort tanzen nackte Frauen, und ein Huhn sitzt auf der Sofalehne.

»Weißt du, was ich am besten daran finde, reich zu sein?« fragt der Literaturagent irgendwann. »Dass du die Leute behandeln kannst wie Abfall. Und sie müssen es einfach hinnehmen.« Ja, kapiert. Ich für meinen Teil hätte gern mehr von der einzigen Figur gesehen, die wirklich etwas will (und dadurch Spaß macht): einem fröhlich heruntergekommenen, von Delphinen besessenen Bootsbesitzer namens Käpt’n Whack, dessen Bilanz »in acht Jahren Delphin-Touren erst vier Tote« aufweist. Leider währt seine Episode nur eine Viertelstunde. Der Rest ist Entgrenzungs-Zinnober für Kapitalismusversehrte, so aufdringlich zum »Kultfilm« frisiert, dass er wahrscheinlich einer werden wird.

  

Aktuelle Startcartoons

Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Recht haben Sie, Uli Wickert (81)!

Die Frage, weshalb Joe Biden in seinem hohen Alter noch mal für das Präsidentenamt kandidiert, anstatt sich zur Ruhe zu setzen, kommentieren Sie so: »Warum muss man eigentlich loslassen? Wenn man etwas gerne macht, wenn man für etwas lebt, dann macht man halt weiter, soweit man kann. Ich schreibe meine Bücher, weil es mir Spaß macht und weil ich nicht Golf spielen kann. Und irgendwie muss ich mich ja beschäftigen.«

Daran haben wir, Wickert, natürlich nicht gedacht, dass der sogenannte mächtigste Mann der Welt womöglich einfach keine Lust hat, aufzuhören, auch wenn er vielleicht nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Dass ihn das Regieren schlicht bockt und ihm obendrein ein Hobby fehlt. Ja, warum sollte man einem alten Mann diese kleine Freude nehmen wollen!

Greifen Sie hin und wieder doch lieber zum Golfschläger statt zum Mikrofon, rät Titanic

 Eher unglaubwürdig, »dpa«,

erschien uns zunächst Deine Meldung, Volker Wissing habe nach dem tödlichen Busunglück auf der A9 bei Leipzig »den Opfern und Hinterbliebenen sein Beileid ausgesprochen«. Andererseits: Wer könnte die Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits noch erreichen, wenn nicht der Bundesverkehrsminister?

Tippt aufs Flugtaxi: Titanic

 Bild.de!

»Springer hatte im Januar bundesweit für Entsetzen gesorgt«, zwischentiteltest Du mit einem Mal überraschend selbstreferenziell. Und schriebst weiter: »Nach der Enthüllung des Potsdamer ›Remigrations‹-Treffens von AfD-Politikern und Rechtsextremisten postete Springer: ›Wir werden Ausländer zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimnis. Das ist ein Versprechen.‹« Und: »In Jüterbog wetterte Springer jetzt gegen ›dahergelaufene Messermänner‹ und ›Geld für Radwege in Peru‹«.

Dass es in dem Artikel gar nicht um Dich bzw. den hinter Dir stehenden Arschverlag geht, sondern lediglich der Brandenburger AfD-Vorsitzende René Springer zitiert wird, fällt da kaum auf!

Zumindest nicht Titanic

 Hello, Grant Shapps (britischer Verteidigungsminister)!

Eine düstere Zukunft haben Sie in einem Gastbeitrag für den Telegraph zum 75jährigen Bestehen der Nato skizziert. Sie sehen eine neue Vorkriegszeit gekommen, da sich derzeit Mächte wie China, Russland, Iran und Nordkorea verbündeten, um die westlichen Demokratien zu schwächen. Dagegen hülfen lediglich eine Stärkung des Militärbündnisses, die weitere Unterstützung der Ukraine und Investitionen in Rüstungsgüter und Munition. Eindringlich mahnten Sie: »Wir können uns nicht erlauben, Russisch Roulette mit unserer Zukunft zu spielen.«

Wir möchten aber zu bedenken geben, dass es beim Russisch Roulette umso besser fürs eigene Wohlergehen ist, je weniger Munition im Spiel ist und Patronen sich in der Trommel befinden.

Den Revolver überhaupt vom eigenen Kopf fernhalten, empfehlen Ihre Croupiers von der Titanic

 Hä, »Spiegel«?

»Aber gesund machen wird diese Legalisierung niemanden!« schreibst Du in einem Kommentar zum neuen Cannabisgesetz. »Ach, echt nicht?« fragen wir uns da verblüfft. Wir waren bisher fest vom Gegenteil überzeugt. Immerhin haben Kiffer/innen oft sehr gute feinmotorische Fähigkeiten, einen gesunden Appetit und ärgern sich selten. Hinzu kommen die unzähligen Reggaesongs, in denen das Kiffgras als »Healing of the Nation« bezeichnet wird. All dies willst Du nun tatsächlich infrage stellen? Da lieber noch mal ganz in Ruhe drüber nachdenken!

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Vom Fachmann für Kenner

 Frage an die Brutschmarotzer-Ornithologie

Gibt es Kuckucke, die derart hinterhältig sind, dass sie ihre Eier anderen Kuckucken unterjubeln, damit die dann fremde Eier in fremde Nester legen?

Jürgen Miedl

 Back to Metal

Wer billig kauft, kauft dreimal: Gerade ist mir beim zweiten Sparschäler innerhalb von 14 Tagen die bewegliche Klinge aus ihrer Plastikaufhängung gebrochen. Wer Sparschäler aus Kunststoff kauft, spart also am falschen Ende, nämlich am oberen!

Mark-Stefan Tietze

 Gute Nachricht:

Letzte Woche in der Therapie einen riesigen Durchbruch gehabt. Schlechte Nachricht: Blinddarm.

Laura Brinkmann

 Tödliche Pilzgerichte (1/1)

Gefühlte Champignons.

Lukas Haberland

 Nicht lustig, bloß komisch

Während ich früher schon ein kleines bisschen stolz darauf war, aus einer Nation zu stammen, die mit Loriot und Heinz Erhardt wahre Zen-Meister der Selbstironie hervorgebracht hat, hinterfrage ich meine humoristische Herkunft aufgrund diverser Alltagserfahrungen jetzt immer öfter mit Gedanken wie diesem: Möchte ich den Rest meines Lebens wirklich in einem Land verbringen, in dem man während seiner Mittagspause in ein Café geht, das vor der Tür vollmundig mit »leckerem Hunde-Eis« wirbt, und auf seine Bestellung »Zwei Kugeln Labrador und eine Kugel Schnauzer« statt des fest eingeplanten Lachers ein »RAUS HIER!« entgegengebrüllt bekommt?

Patric Hemgesberg

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
27.04.2024 Schwerin, Zenit Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
28.04.2024 Lübeck, Kolosseum Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
29.04.2024 Berlin, Berliner Ensemble Martin Sonneborn mit Sibylle Berg
30.04.2024 Hamburg, Kampnagel Martin Sonneborn mit Sibylle Berg