Humorkritik | Mai 2019
Mai 2019
Die hochstaplerische Performance ist ein ernstes Geschäft, da darf man sich nicht plötzlich von außen betrachten und das Absurde der Situation wahrnehmen. Das ist wie beim Sex, da darf man auch nicht lachen, dann ist es vorbei
Hans-Ludwig Kröber
Zum Jubiläum besser mit als ohne
Vor genau fünfzig Jahren erschien die erste Ausgabe von »La Disparition«, einem bemerkenswerten Roman, den man ohne jede schmähende Absicht als beschränkt bezeichnen darf. Dies allerdings nur insofern, als der Autor Georges Perec – das wohl wichtigste Mitglied von Oulipo, der legendären Werkstatt für potentielle Literatur – beim Verfassen des Werks auf den Buchstaben »e« verzichtet hatte. Auf jenen Vokal also, der nicht nur der meistgebrauchte im Französischen wie im Deutschen ist, sondern auch auffällig häufig in Perecs eigenem Namen vorkommt.
Den Höllenjob, die hiesigen Leser über die Umstände von »Anton Voyls Fortgang« – so der Titel der deutschen Übersetzung – zu unterrichten, übernahm konsequenterweise ein e-reicher Mann aus dem e-losen Saarland, nämlich der Schriftsteller Eugen Helmlé. Der machte seine Arbeit auch sehr ordentlich und erfand zum Beispiel so hübsche Ausdrücke wie »Kumpan Harry« für »Freund Hein« oder »Polypspion« für Polizeispitzel. Das ändert jedoch nichts daran, dass sich die kleinen und größeren Tricks, mit denen Helmlé das »e« vermeidet, bald wiederholen, was auf die Dauer ermüdend wirkt. ’s sind da zu oft Kumpan Apostroph und Ausdruck, wo nicht wirklich sitzt, Grammatik, wo falsch ist, und notorisch Sprung von Chronos zu Chronos. Auch orthographisch wird gätrickst! Fazit also: Humorkritikfachmann bzw. -admiral bzw. -papst fand’s all in all actually nicht so toll. Und stößt heuer lieber auf ein anderes Werk des e-Teams Perec/Helmlé an, nämlich »Die Winterreise« (frz.: »Le Voyage d’hiver«), die seit kurzem in einer neuen deutschen Ausgabe (Diaphanes) vorliegt. In diesem bezaubernden Text, der im Original erstmals vor genau 40 Jahren erschien, geht es nicht etwa um eine Winterreise, sondern, sanft selbstreferentiell, um ein höchst mysteriöses Buch namens »Die Winterreise«, aus dem Verlaine, Rimbaud, Mallarmé und zahlreiche weitere Dichter abgeschrieben zu haben scheinen. Ist dieses Werk, das von einem gewissen Hugo Vernier stammt, der geheime Urtext der modernen französischen Literatur? Oder existiert es doch nur in der Vorstellung des Lehrers Vincent Degräel? Und was hat all das mit dem oulipotischen Konzept des Plagiats durch Vorwegnahme zu tun, das ursprünglich von mir selbst stammt, dann aber per Plagiat durch Vorwegnahme entwendet wurde? Lesen Sie »Die Winterreise« – und Sie werden es vielleicht erfahren.