Humorkritik | August 2019

August 2019

Wir spielten in Dachzimmern Klavier mit Fingern, Fäusten und Armen und unterhielten uns prächtig. Die Stunden verflogen. In einer Pause hörten wir plötzlich die Kirchenglocken läuten. Es klang wie ein Witz.
Matthias Egersdörfer, »Vorstadtprinz«

Kaffee mit Mussolini

Deutschlands schwerster Luftsegler Simon »Senil« Strauß hat wieder zugeschlagen. »Römische Tage« heißt das Opus und enttäuscht wie sein Vorgänger »Sieben Nächte« (TITANIC 12/17) weder durch einen Mangel an Gratispathos noch in Sachen unfreiwilliger Komik: Ein Schriftsteller fährt nach Rom, schreibt, darüber, dass er über Rom schreibt und trägt seine Gefühle mit sich herum, um sie allenthalben wiederzuentdecken. In den Worten von Meister Strauß: »Sich vorstellen, dass der Aufenthalt wichtig wird.« Hoffen, dass der »Geist« sich »reinigt«, »dass er von Schönheit gestreift und wiederbelebt, zumindest durchgelüftet wird«; das »Schnipsen im Ohr loszuwerden«.

Wo so viel Atmosphäre in den Kopf dringt, ist Abluft nicht weit. »Dicke Seifenblasen stehen starr in der Luft und zerplatzen an der alten Mauer, brechen die Aura, behaupten, Vorzeichen zu sein.« Aber wovon? »Hundert Geigen hängen da an der Wand und warten. Seltsam die Vorstellung, dass die Hände von heute noch immer dasselbe tun, was sie schon vor vierhundert Jahren taten – bauen und spielen.« In der Tat seltsam die Vorstellung vierhundertjähriger Hände. Aber vielleicht ganz passend im Konflikt zwischen dem der öden Produktion des Immergleichen (»das Alte neu denken«) verhafteten Pseudoausbruch und der verwalteten Alltagswelt daheim. Die schlimm ist: Der Erzähler hat Herzprobleme, »die Steuer schreibt die Geschichte«, während »das Jahr sich häutet«, und im Übrigen »fehlt die Verarbeitung, das Einmachen der Empfindung«. Das kann Strauß, geschult an Volker Weidermann und Konsorten, perfekt: Sensationen zu Schlabbersätzen marmeladisieren. Wenngleich er am Schicksal anderer Anteil zu nehmen vermag: »… entdecke ich eine kleine Delle, wo vielleicht einmal der Kopf einer jungen Sklavin aus tiefer Verzweiflung über ein ihr angetanes Unrecht gegen die Säule schlug«.

Bald wird es sogar faschistisch. Denn wo als Referenz der olle Goethe ständig mitdackeln muss (»stelle ich mir vor, wie Goethe sich drüben nach einem langen Tag die Füße gewaschen hat«; »denke ich angestrengt an Goethe«; »Melone gegessen und mir Goethe im Schlafanzug vorgestellt«), ist Mussolini immer schon da – und die Verdrängung auch. Geschockt ist der Erzähler von einer zuvor noch wohlwollend beschauten Restaurantwirtin mit Hakenkreuz-Gürtel und erinnert sich an damals, als »ich mit sechzehn in Neuseeland war und nicht schlafen konnte, weil sie mir wieder den ganzen Abend lang den Hitlergruß gezeigt hatten, diese ekelhaften farming boys«. Deutsche als Opfer. Voll unschuldiger Fragen: »Wird ein faschistischer Herrscher im Rückblick neben einem gewalttätigen Kriegsführer der Antike oder des Mittelalters vielleicht nur als einer unter vielen gelten?« Und schließlich unumwunden homoerotische Phantasien (»Die Mädchen, die er nach Hause brachte, hat er immer in meinem Bett geliebt«; »bewunderte ihn für seine Muskeln, seine schnellen Gedanken«; »zwei nackte Jünglinge nebeneinander an einem Baum«), deren Objekte indes nur als tote oder dem Sterben Geweihte vorkommen dürfen: »Am nächsten Morgen finden sie einen Mann wie ihn mit heruntergezogener Hose und getrocknetem Sperma auf dem Oberschenkel in einem Hotelzimmer in Prati.«

»Mussolinis Vorstellung war ja, dass man die Vergangenheit in die Zukunft strecken könnte wie einen verlängerten Kaffee.« Laut Umschlagzitat ist Strauß die »Stimme einer Generation« – man will nicht wissen, welcher.

  

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Heftrubriken

Briefe an die Leser

 Wie kommt’s, »Krautreporter«?

In einem Artikel zum Thema »Konkurrenz im Job« stellst Du die These auf: »Konkurrenz ist nicht so verpönt wie ihr Ruf.« Aber warum? Was hat der Ruf der Konkurrenz denn bitte verbrochen? Womit hat er seinem Renommee so geschadet, dass er jetzt sogar ein schlechteres Image hat als die Konkurrenz selbst? Und weshalb verteidigst Du in Deinem Artikel dann nur die Konkurrenz und nicht ihren Ruf, der es doch viel nötiger hätte?

Ruft Dir fragend zu:

Deine genau im gleichen Ausmaß wie ihr Ruf verpönte Titanic

 Wenn, Sepp Müller (CDU),

Bundeskanzler Olaf Scholz, wie Sie ihm vorwerfen, in einem »Paralleluniversum« lebt – wer hat dann seinen Platz in den Bundestagsdebatten, den Haushaltsstreitgesprächen der Ampelkoalition, beim ZDF-Sommerinterview usw. eingenommen?

Fragt die Fringe-Division der Titanic

 An Deiner Nützlichkeit für unsere Knie, Gartenkniebank AZBestpro,

wollen wir gar nicht zweifeln, an Deiner Unbedenklichkeit für unsere Lungen allerdings schon eher.

Bleibt bei dieser Pointe fast die Luft weg: Titanic

 Ach, welt.de!

Die Firma Samyang stellt offenbar recht pikante Instant-Ramen her. So pikant, dass Dänemark diese jetzt wegen Gesundheitsbedenken vom Markt genommen hat. Und was machst Du? Statt wie gewohnt gegen Verbotskultur und Ernährungsdiktatur zu hetzen, denunzierst Du Samyang beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, wo Du fast schon hämisch nachfragst, ob das Produkt vielleicht auch hierzulande verboten werden könne.

Das Amt sekundiert dann auch sogleich bei der Chilifeindlichkeit und zählt als angebliche »Vergiftungssymptome« auf: »brennendes Gefühl im (oberen) Magen-Darm-Trakt, Sodbrennen, Reflux bis hin zu Übelkeit, Erbrechen und Schmerzen im Bauch- und Brustraum. Bei hohen Aufnahmemengen können zudem Kreislaufbeschwerden auftreten – beispielsweise Kaltschweißigkeit, Blutdruckveränderungen und Schwindel«. Hallo? Neun von zehn dieser »Nebenwirkungen« sind doch der erwünschte Effekt einer ordentlich scharfen Suppe! Erbrechen müssen wir höchstens bei so viel Hetze!

Feurig grüßt Titanic

 Lieber Fritz Merz,

im Podcast »Hotel Matze« sagst Du, dass Du in Deutschland große Chancen bekommen hättest und etwas zurückgeben wolltest. Jawollo! Wir haben da direkt mal ein bisschen für Dich gebrainstormt: Wie wär’s mit Deinem Privatjet, dem ausgeliehenen vierten Star-Wars-Film oder dem Parteivorsitz? Das wäre doch ein guter Anfang!

Wartet schon ganz ungeduldig: Titanic

Vom Fachmann für Kenner

 Ein Lächeln

Angesichts der freundlichen Begrüßung meinerseits und des sich daraus ergebenden netten Plausches mit der Nachbarin stellte diese mir die Frage, welches der kürzeste Weg zwischen zwei Menschen sei. Sie beantwortete glücklicherweise ihre Frage gleich darauf selbst, denn meine gottlob nicht geäußerte vage Vermutung (Geschlechtsverkehr?) erwies sich als ebenso falsch wie vulgär.

Tom Breitenfeldt

 Der kästnerlesende Bläser

Es gibt nichts Gutes
außer: Ich tut’ es.

Frank Jakubzik

 Krasse Segregation

Wer bestimmten Gruppen zugehört, wird auf dem Wohnungsmarkt strukturell diskriminiert. Viele Alleinstehende suchen händeringend nach einer Drei- oder Vierzimmerwohnung, müssen aber feststellen: Für sie ist dieses Land ein gnadenloser Apartmentstaat, vor allem in den Großstädten!

Mark-Stefan Tietze

 Verabschiedungsrituale

Wie sich verabschieden in größerer Runde, ohne dass es ewig dauert? Ich halte es so: Anstatt einen unhöflichen »Polnischen« zu machen, klopfe ich auf den Tisch und sage: »Ich klopf mal, ne?«. Weil mir das dann doch etwas unwürdig erscheint, klopfe ich im Anschluss noch mal bei jeder Person einzeln. Dann umarme ich alle noch mal, zumindest die, die ich gut kenne. Den Rest küsse ich vor lauter Verunsicherung auf den Mund, manchmal auch mit Zunge. Nach gut zwanzig Minuten ist der Spuk dann endlich vorbei und ich verpasse meine Bahn.

Leo Riegel

 Guesslighting

Um meine Seelenruhe ist es schlecht bestellt, seit mich ein erschütternder Bericht darüber informierte, dass in Hessen bei Kontrollen 70 Prozent der Gastronomiebetriebe widerlichste Hygienemängel aufweisen (s. Leo Riegel in TITANIC 07/2022). Neben allerhand Schimmel, Schleim und Schmodder herrscht allüberall ein ernsthaftes Schadnagerproblem, die Küchen sind mit Mäusekot nicht nur kontaminiert, sondern praktisch flächendeckend ausgekleidet. Vor lauter Ekel hab ich sofort Herpes bekommen. Nun gehe ich vorhin in meine Küche, und auf der Arbeitsplatte liegen grob geschätzt 30 kleine schwarze Kügelchen. Ich bin sofort komplett ausgerastet! Zehn hysterische Minuten hat es gedauert, bis mir klar wurde, dass der vermeintliche Kot die Samen eines dekorativen Zierlauchs waren, der einen Blumenstrauß krönte, den eine liebe Freundin mir geschenkt hat. Ich hätte ihn einfach nicht noch einmal anschneiden sollen … Hysterie off, Scham on.

Martina Werner

Vermischtes

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Das schreiben die anderen

Titanic unterwegs
03.08.2024 Kassel, Caricatura-Galerie Miriam Wurster: »Schrei mich bitte nicht so an!«
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst Die Dünen der Dänen – Das Neueste von Hans Traxler
04.08.2024 Frankfurt/M., Museum für Komische Kunst »F. W. Bernstein – Postkarten vom ICH«
09.08.2024 Bremen, Logbuch Miriam Wurster